Register Cluster I    Identität - Nicht Identität



Henning Hauke, Diagramm zur Ich- Philosophie von Novalis, 2021,
Das Schaubild versucht die Pole von Reflexion und Gefühl sowie ihre Verbindung in der von Novalis sogenannten „Muttersfäre“ zu visusalisieren.

0.1. Einführung

In den Auseinandersetzungen um den Begriff des Wissens in Bezug auf künstliche Intelligenz erscheint eine Besinnung auf philosophische Konzepte der Frühromantik und Kunstpädagogik nur vordergründig konservativ[1]. Zantwijk[2]blickt hier in der gegenwärtigen Diskussion beispielsweise detailliert auf den Bildungsbegriff von Fichte und Hegel und diagnostiziert bei beiden eine performative Sicht auf das Wissen. Performativität wird hier verstanden als Form eines Wissens, in welchem ein selbstreflexives Denken auftaucht, ein Denken, das sich selbst beobachtet und sich so einem imaginativen Wissenannähert. Erkenntnistheoretisch betrachtet ist in vielen phänomenologischen Studien zur Performativität[3] in erster Linie von den Tatsachen des Bewusstseins die Rede, einem Bewusstsein, das sich anschauend auf ein Bild bezieht. Die Begriffe Ich, Identität, Denken, Bild-Bewusstsein und gesteigerte Aufmerksamkeit beziehe ich hier insgesamt auf den Bereich der Imagination als bildhaft (an)schauendes Bewusstsein. Ein bewussterer Vollzug der Denktätigkeit schiebt sich in den Blick. Entsprechende Zusammenhänge zeigen sich in ästhetischen Identitäts-Bildungsprozessen im Jugendalter. Beispiele zur Praxis werden hier aufgeführt. Das transzendentale Selbst, oder wie es Novalis bezeichnet das „Ich seines Ich zu sein“, (siehe Kapitel über Novalis) wird durch künstlerische Tätigkeit und philosophisch ästhetische Betrachtungen angeregt.

Es geht hier bei der Frage nach dem “Selbst” oder “Ich” nicht um ein illusionäres esoterisches Konzept von „höherem Selbst“, ebenso wenig um eine egozentrische Selbstverliebtheit in das eigene “Ich”.  Die Dimensionen von Subjekt und "Ich" samt ihren willentlichen und emotionalen Aspekten erscheinen in diesem Register auch in weiteren Zusammenhängen, vor allem unter den Titeln Imagination, Embodiment und "Denken der Farbe".  Die Frage nach der Identität oder dem "Ich" muss aus verschiedenen Blickwinkeln gestellt, in unterschiedlichen Kontexten erörtert werden. Für mich heißt Leben mit der Kunst - sowohl in der Theorie als auch in der Praxis - zugleich Wege zu finden zu einer Entwicklung des Bewusstseins. Wir haben es also auch mit in sich bewegten Prozessen zu tun. Daraus resultierend soll der Kunstunterricht Jugendlichen subtile Orientierungsmöglichkeiten für Entwicklungsprozesse schaffen.

Das unten beschriebene Zusammenspiel von Reflexion und Gefühl bei Novalis berührt entwicklungspsychologisch betrachtet sensible Momente in der Situation der Jugendlichen besonders in den Klassen 11-13. Denn hier treten diese Prozesse konkret in der Bildung von Imaginationsprozessen bei den Heranwachsenden auf. Denken und Emotion spielen im künstlerischen Tun verstärkt ineinander und lassen die von Novalis umschriebene, Präreflexivität des Absoluten Ich bewusst erahnen. Durch die willentlich betätigte Einbildungskraft berühren die Jugendlichen immer wieder zart den damit verbundenen Prozess des Verkörperns. Sie spüren im spielerischen Tun eine zarte Ahnung, dass ihr „Ich“ einer umfassenderen Sphäre (siehe Seite 12) angehören kann, welche die duale Sphäre unseres Bewusstseins im Alltag zu ergänzen vermag.


0.2. Ein kurzer Vorblick

„Derzeit gibt es keine Publikation, nicht einmal in den Lexika, mit deren Hilfe es möglich ist, Übersicht über die verzweigte Problematik zu gewinnen, welche eine Theorie der Identität zu lösen hat. Diese Mangellage erklärt sich daraus, dass unter demselben Titel und in einer sachlichen Beziehung zueinander, die sich nur schwer durchschauen lässt, zahlreiche und sehr verschiedene Probleme abzuhandeln sind. Umgekehrt erklärt sie aber auch den sehr hohen Grad an Dunkelheit und Problemverwirrung, welche gegenwärtig den Gebrauch des Identitätsbegriffes kennzeichnen, - ganz besonders in den Sozialwissenschaften.[4]

Die folgenden Studien vertiefen im Anschluss an meine Ausführungen die Beschäftigung mit Identität und Nicht-Identität. Wie aus dem oben angeführten Zitat von Dieter Henrich hervorgeht, ist dies ein nicht leicht zu fassendes Thema.

Der in Gießen lehrende Professor für Kunstpädagogik Carl-Peter Buschkühle[5] zeigt, wie der Begriff der Nicht-Identität in der Kunstpädagogik geprägt wurde (1.). Iris Laner[6]betont den Zusammenhang und die Bedeutung der Imagination für die Subjekt-Werdung aus der Sicht der neueren Phänomenologie. Ihre Studien “Sehen in Gemeinschaft” und ihre Einführung in die “Ästhetische Bildung” verweisen auf grundsätzliche Motive, die im Alltag der Kunstpädagogik hilfreich sind.  Um den Forschungsstand in den Erziehungswissenschaften einzubeziehen, hinterfrage ich Aspekte zweier Arbeiten von Jörg Zirfas und Benjamin Jörissen[7].  Es folgt eine detaillierte Darstellung der philosophischen Studien und Fragmente von Novalis, welche das Rätsel der Identität oder des Ichs durch eine poetische Sicht vertieft. Im Hinblick auf das Zusammenspiel von Denken und Emotionen soll hierbei das Rätsel des Ichs untersucht werden.

Das Schema von S. 114 des Buches über den Zusammenhang von Denken, Fühlen und Wollen bezieht sich, wie bei Novalis näher beleuchtet, auf diese Schnittstelle zwischen Denken und Gefühl.  Wie sich ästhetische Erfahrungen in der Kunstpädagogik im Hinblick auf das Leben im Leib vollziehen (Felt Sense), bleibt ein Kompass für alle Einträge ins Register. Der dynamische Prozess der Subjektwerdung als Herausbildung des Ichs in Cluster I ist für die Kunstpädagogik eng verbunden mit der Fähigkeit zur Imagination (Cluster III), aber ebenso mit Embodiment (Cluster II). Denn sowohl Identität als auch Imagination in der Kunst sind mit der Leiblichkeit des Menschen insgesamt verwoben.  Der Ursprung der Kunst bleibt  tief mit dem Leben verbunden. Es existiert demnach ein innerer Zusammenhang zwischen den im Buch aus der Praxis kategorisierten Themen I-V. So verfolgen die Einträge ins Register insgesamt eine aus der Praxis aufsteigende ästhetische Theorie.


1. Nichtidentität und Identität / Buschkühle 

Der Kunstpädagoge Carl-Peter Buschkühle entwickelte um 1990 in seiner Publikation “Wärmezeit. Zur Kunst der Kunstpädagogik von Josef Beuys”[8] verallgemeinerte Grundgedanken zur Sozialen Plastik. In einer weiteren Schrift “Welt als Spiel”[9]stellt er die Ästhetische Theorie Adornos als eine Grundlage künstlerischen Denkens dar. Hier reflektiert er in zwei umfassenden Kapiteln „Künstlerisches Denken und Künstlerische Produktion“ (S.116-145) sowie „Nichtidentität und künstlerische Bildung” (S. 157-199) eine Theorie zur Professionalisierung der kunstpädagogischen Tätigkeit. Ausgehend von Adornos „Negativer Dialektik“ und seiner „Ästhetischen Theorie“ ergeben sich unter dem Gesichtspunkt der ästhetischen Differenz wesentliche Aspekte für meine Fragestellung zu Identität und Imagination.  Während die “Dialektik der Aufklärung” von Adorno/Horkheimer die Kritik am wissenschaftlichen Dogma effizienzorientierter kapitalistischer Forschung durchführt und den an der Philosophie der Aufklärung ausgerichteten „universellen Verblendungszusammenhang” kritisiert, zeigt die Kunst für Adorno die Möglichkeit eines anderen, verdeckten Wahrheitsaspekts auf.  Das “nicht-identifizierende” Denken wendet sich gegen das instrumentelle identifizierende Denken und Handeln,.Es versucht als Kunst und Kunstreflexion eine andere Art des Denkens zu entwickeln, in welcher der Begriff nicht mit sich identisch ist. Er entfaltet vielmehr eine Bewegung, die keine fest gestellte Definition erstrebt. Es entsteht eine andere Art des Sprechens, die Sprache der Kunst zeigt nicht das Allgemeine. Eine der Kunst angemessene Sprache zielt auf das Besondere, die Singularität des Kunstwerks. Die Begegnung mit dem Kunstwerk oder mit individuell künstlerischen Prozessen evoziert eine der Kunsterkenntnis angemessene Weise des Wissens (https://henninghauke.work/Kunstlerische-Forschung. Diese Art des Wissens entfaltet sich in der Konstellation. Hier versucht das Erkennen nicht von der Empirie auf das allgemeine Gesetz zu schließen. Vielmehr versucht das künstlerische Denken im Besonderen das Wesen (der Singularität) des Kunstwerks zu erfahren. Diesen Ansatz verfolge ich in den Praxisbeispielen der Publikation “Mit dem Leben verbinden”.  Wie erspüren Jugendliche in künstlerischen Prozessen Formen der Nicht-Identität, also der Subjektwerdung/Subjektivierung in imaginativen Prozessen innerhalb ihrer leiblichen Existenz?  Es entsteht im künstlerischen Denken und Schaffen im Sinne Adornos keine Hierarchie der Begriffe. Vielmehr erschaffen evozierte Begriffsbewegungen eine Konstellation[10], in der eine dynamische Annäherung an Identität möglich wird.

2.1. Subjektivierung und Imagination / Laner

Identitätsfindung setzt Imaginationsprozesse voraus, so die These Iris Laners. Sie arbeitet in dieser Studie[11] den direkten Bezug heraus von Subjektivierung und Imagination. Parallel dazu wäre in meinen Beispielen zur Praxis besonders bei den Porträtdarstellungen immer wieder das auftauchende Motiv der Verdoppelung zu nennen (siehe Novalis, Widerstreit im Ich). Durch ihre Überlegungen erscheinen die Praxisbeispiele in einer erweiterten Perspektive.

Zunächst erwähnt sie den in der Postmoderne viel beschworenen Tod des Subjektes und hinterfragt, ob ihr Rückgriff auf die in den 30-er Jahren schon entstandene Theorie der Intersubjektivität Husserls heute noch eine Relevanz besitzt. Jedenfalls legitimiert sie ihren Versuch mit der Diagnose, dass der problematische Begriff des Subjektes in den erziehungswissenschaftlichen Diskurs zurückgekehrt ist. Dazu unternimmt sie für ihre Annäherung zwei Umwege, a) ihren historischen Rückgriff auf Husserl und b) eine Besinnung auf „…jene diffizilen Mikrobewegungen im Prozess der Subjektivierung…“. Ihre Einleitung beschreibt zunächst allgemein die Situation der Subjektivierung anhand des für ästhetische Erfahrungen zentralen Begriffs der qualitativen Transformation.

„Wenn man sich an den wissenschaftlichen Sprachgebrauch hält, tritt das Subjekt immer dort auf, wo sich eine qualitative Transformation vollzieht, wenn Menschen zu Personen, Personen zu Selbsten oder Selbste zu Ichen, Körper zu Leibern oder Bewusstseine zu Selbstbewusstseinen werden. … Subjekt sind all diejenigen, die in einem grundsätzlich offen gedachten Bildungsprozess zu sich selbst in Beziehung treten mit dem meist impliziten Ziel, sich selbst zu finden, ein vollwertiges Ich oder Selbst zu werden“[12]

Ebenso befindet sich die Lehrperson in einem Prozess der Subjektivierung durch die Rückbestimmung der Identitätssuche der Schüler. Das alte Modell Sender-Lehrer, Empfänger-Schüler kann zugunsten einer erweiterten Sicht aufgegeben werden. Sofern Lehrer:innen bewusst zu Empfängern werden, könnten sie durch den besonderen Fall eines Schülers belehrt werden, das bedeutet, in dem ich mich ganz einlasse auf das besondere Lernproblem, welches eine pädagogische Situation hervorbringt, kann meine pädagogische Fantasie so stimuliert werden, dass ich neue Schritte wage, mich also sozusagen neu erfinden muss, weitere Facetten meiner Subjektivierung hinzufüge, um dabei neue Seiten zu entwickeln, die es so bislang noch nicht in meiner Ich- Tätigkeit gab, um eventuelle Lernblockaden der Jugendlichen zu verflüssigen.

Qualitative Transformation trägt in sich eine Bewegung, die einen offen gedachten Bildungsprozess des Subjekts fordert. Dabei werden zentrale Thesen Husserls bedacht. So etwa, dass das Subjekt sich nur in einer intersubjektiven, „mit anderen Subjekten geteilten Welt erst aus seinem Bezug zu Anderen heraus konstituiert“ oder auch die Unterscheidung zwischen Bild, Erinnerung und Phantasie. Bevor Laner sich der Phänomenologie Husserls direkt widmet und darin dessen Begriff der Imagination charakterisiert, werden vier für Identität bzw. Subjektivierung relevante Polaritäten hervorgehoben: Aktivität-Passivität, Autonomie-Heteronomie, Eigenes-Fremdes, Individualität-Sozialität. Durch die Vermittlung dieser Gegensätze kann die Subjektivierung im Sinne der oben angedeuteten Nicht-Identität als ein dynamischer Prozess in den Vordergrund gerückt werden. Die Überwindung der einseitigen Festschreibung dieser Pole für das, was das Ich ausmacht, ist dabei ihre Absicht. Dazu versucht sie die Rolle der Imagination in Husserls Werk herauszustellen. Sie hebt bei Husserl das „Sichhineinimaginieren“ in andere Menschen als wesentlichen Aspekt von Subjektivierung hervor. Phantasiebewusstsein sei hierbei der wesentliche Motor von Bildungsprozessen, weil wir über das Vermögen der Imagination verfügen. Phantasie begreift Laner als Kern der Bildungsprozesse im Subjekt, sie vermittelt zwischen den Gegensätzen. Im „Aufeinanderverwiesensein“ von intersubjektiven und individuellen Aspekten überwindet sie die starre Fixierung auf einen der Pole und plädiert gegen die Dualität starrer Begriffe. Ihre These für die Erziehungswissenschaften fasst sie wie folgt zusammen:  

„Das Moment der Subjektivierung wird als Schlüsselkonzept nach seiner postmodernen Verabschiedung wieder eingeführt und hier weitestgehend verstanden als prekäre und unabgeschlossene zwischen den Polen des souveränen Tuns und des bloßen Erleidens, der Selbstermächtigung und der Fremdbestimmung, des Suchens des Eigenen im dem Anderen Ausgesetztsein sowie des Finden eines Eigensinnes im sozialen Raum aufgespannt.“

(S. 6 in meinem Manuskript im zitierten Sammelband findet sich der Beitrag von Laner auf S. 217)

https://www.academia.edu/31673665/Subjektivierung_durch_Einf%C3%BChlung_und_Nacherleben_Zur_Bedeutung_von_Phantasie_und_Imagination_f%C3%BCr_die_Bildung_des_Ich   

Mit erscheint diese dynamische Weise der Erkenntnis grundlegend für ästhetische Erkenntnis zu sein, ob man an Schillers ästhetische Briefe denkt, nach denen sich zwischen Form und Stoff der Spieltrieb entwickelt oder an die plastische Theorie von Beuys, in welcher sich zwischen Chaos und Form die Bewegung ereignet, immer bewegt sich zwischen zwei Kräften ein Prozess. Diese bewegliche Haltung braucht es, egal in welcher Kunstform, um Kreativität produktiv wie rezeptiv zu entfalten. Insofern schließt diese Flexibilität der Begriffe an die im letzten Beispiel erwähnte Nicht-Identität an und an das Konzept der Performativität.

2.2. Iris Laner/ Sehen in Gemeinschaft

Im Unterricht berührt das gemeinschaftliche Erkennen konkret Situationen im Alltag. Immer wieder sind unvorhersehbare kollektive Stimmungen an unterschiedlichen Tagen so gravierend unverfügbar, dass die Parameter für einen gelingenden Unterricht nur schwer auszumachen sind. Ästhetische Erkenntnisprozesse, welche sich in Gruppen ereignen, widersprechen der Herkunft einer rein auf die Subjektivität des Einzelnen bezogenen solipsistischen Erkenntnisweise, nach der der oder die Betrachter:in das Empfinden des Schönen nur mit sich selbst ausmacht. Deswegen charakterisiert Laner die Problematik des immer nur auf den Einzelnen bezogenen individuellen ästhetischen Erkennens    anhand der Ästhetik von Baumgarten.

“Der Gedanke, dass ästhetische Erfahrungen nicht nur erkenntnisstiftend sind, sondern ganz eigene Felder des Wissens aufschließen, kehrt in der ästhetischen Theorie seit Baumgarten (und bereits vor ihm) immer wieder. Wie bereits angedeutet, wird er meist eng geknüpft an die Überzeugung formuliert, dass ästhetisches Erfahren und die entsprechende Bildung, die dieses mitbedingt, Sache der Einzelnen sind.[13]

Ihr Anliegen ist es, die soziale Situation im Unterrichtsraum in den Blick zu nehmen. Dabei hilft ihr eine Kritik an Kant:

„Das Geschmacksurteil ist also [...] nicht logisch, sondern ästhetisch, worunter man dasjenige versteht, dessen Bestimmungsgrund nicht anders als subjektiv sein kann.“ [14]

„Mit diesem Hinweis auf die subjektive Natur des Geschmacksurteils ist von Anfang an nicht nur der Solipsismus des ästhetischen Erfahrens angesprochen: Ein Geschmacksurteil kann „nicht anders als subjektiv“ sein, weil es auf der je eigenen Wahrnehmung fußt.”[15]

Diese Verlagerung des ästhetischen Erkennens in ein „solipsistisches Engagement", verhindert den Blick auf die soziale Dimension des ästhetischen Erkennens.

„Eine gemeinschaftliche Praxis des Erfahrens, des Wahrnehmens, Betrachtens oder Rezipierens von ästhetischen Dingen bleibt in dieser Diskussion zu einem großen Teil ausgeklammert.“[16]

Das Gespräch zwischen den Jugendlichen im Raum und die Qualität der Atmosphäre im gemeinsamen ästhetischen Erkennen werden dabei ausgeblendet. Geschmacksurteile werden als subjektiv diskreditiert. Laner versucht dann“… unterschiedliche Formate des direkten und indirekten Austauschs unter ästhetischen Subjekten als wesentlich für ästhetische Erfahrung [zu] betrachten.”[17]

Eine Neigung zu kollektiven Erlebnissphären kann man im Unterrichtsgeschehen oftmals beobachten. Liebevolle Freundschaften oder Spannungen in Form von Konkurrenz bereiten ein Klima im Unterricht, welches es den Heranwachsenden ermöglicht, ästhetische Erfahrungen mehr oder weniger stark zu erleben. Sicher muss der/die Einzelne sich entschließen, tätig zu werden oder eine Frage zu entwickeln im Umgang mit irgendeinem Medium, aber der Blick auf unterschiedliche Formate der sozialen Interaktion ist, wie Laner beschreibt, ein wichtiger Beitrag zum ästhetischen Erkennen im sozialen Gefüge der Gruppendynamik. Subjektivierung bildet sich im Dialog mit dem Fremden und anderen aus.. 


2.3. Iris Laner / Ästhetische Bildung, zur Einführung

Im vierten Kapitel ihrer Einführung in die Ästhetische Bildung[18]beschäftigt sich Laner anhand ihres Leitmotivs, der Unterscheidung von bildenden Voraussetzungen und bildenden Wirkungen, mit Einbildungskraft, Kreativität und Handlungsfähigkeit. Sie differenziert nach Bildung zu ästhetischen Erfahrungen und Bildung durch ästhetische Erfahrungen und behandelt für die ästhetische Praxis drei Felder:

Erstens stellt sie exakte Mimesis (Nachahmung der Natur) dem Hervorbringen von Neuem gegenüber. Viele Beispiele aus der Praxis zeugen von diesem elementaren Bedürfnis nach Nachahmung. Cluster IV Farbe zeigt andererseits eine gestalterische Praxis, die recht frei von Nachahmung ist. 

Zweitens veranschaulicht Laner den Gegensatz zwischen gelernter Praktikerin und Genie. Letzteres braucht keine Bildung, weil es von Natur aus alles in sich selbst trägt. Können die Hervorbringungen von Neuem gelehrt werden? Muss sich das Subjekt zunächst ästhetisch bilden, um innovativ sein zu können? Sicher ist das ein Spannungsfeld. Aber bei genauerer Betrachtung der künstlerischen Tätigkeit unterschiedlicher Menschen lösen sich die Grenzen dieser oft doch nur vermeintlichen Gegensätze auf. Zudem öffnet sich bei dieser Frage ein weites Feld historischer Evolution. Ob ein/e Künstler/in den Höhlen von Chauvet unter dem Label Genie gefasst werden kann oder ob sich der Genie-Begriff der Romantik und Klassik wirklich von fortdauernden Übungen in ästhetischer Praxis ableiten lässt, bleibt offen.

Drittens untersucht Laner die Auswirkungen ästhetischer Praktiken auf andere nicht-ästhetische Felder, woran sie die Frage nach der Autonomie künstlerischer Praxis knüpft. Falls es einen Transfer zu nicht ästhetischen Praktiken gibt, sei von einer bildenden Wirkung ästhetischer Erfahrungen auszugehen. Hieran bindet sie vor allem den Anspruch einer möglichen Befruchtung von ästhetischem und wissenschaftlichem Tun. (Die Transferforschung[19]von Rittelmeyer kann hier konkrete Anregung geben.)

3. Fluides Selbst - Zirfas und Jörissen

In dem Band „Schlüsselwerke der Identitätsforschung“[20]finden sich unterschiedlichste Positionen. Ich greife exemplarisch den Beitrag über Wolfgang Welsch heraus, der von Dorle Klika erarbeitet worden ist, weil hier das Thema Identität konkret an dem Werk von Cindy Sherman als „Vielfalt möglicher Identitäten“ beleuchtet wird. Sie zitiert in ihrem Beitrag „Identität im Übergang“ S. 297 Wolfgang Welsch aus seiner Studie „Ästhetisches Denken“[21]. Er geht von einer Parallele zwischen Kunst und Psychiatrie aus und thematisiert „Identitätsvervielfachungen“ wie sie in den Praxisbeispielen auftauchen. Man könnte kritisch hinterfragen: Wurden die Heranwachsenden in den Beispielen durch das Werk von Sherman zu einer pluralen Sichtweise auf ihre Identität hin manipuliert oder verkörpert diese Künstlerin sozusagen den Zeitgeist, welcher den Jugendlichen hilft, sich in der Komplexität einer medialen Bildwelt zu orientieren? Da das Thema vom Oberschulamt vorgegeben war, schließt sich die Frage an: Bestimmt hier die Prüfungsbehörde die Identitätsfindung der Heranwachsenden oder kamen bei der Aufgabenstellung auch ureigene innere Anteile ihrer Persönlichkeitsentwicklung zur Geltung?

„Cindy Sherman verkleidet sich nicht bloß, sondern übernimmt den Typ und die Rolle, die sie darstellt, dermaßen perfekt, dass sie die jeweilige Identität gleichsam abstrichslos verkörpert. Sie ist nicht irgendeine Schauspielerin, sondern eine perfekte Darstellerin, sie demonstriert nicht den Facettenreichtum ihrer Person, sondern die Vielfalt möglicher Identitäten.“[22]

Cluster I Identität (Buch S. 28) zeigt die Zeit nach der Jahrtausendwende, als die digitale Fotografie die visuelle Kultur verstärkt zu dominieren begann. Über viele Schuljahre inspirierte das Werk Cindy Shermans viele bildnerische Prozesse der Jugendlichen. Die Vorgabe des Bildungsministeriums konfrontierte sie explizit mit dieser gestalterischen Thematik. Durch die vermehrte Nutzung digitaler Fotografie und immer weiter entwickelter Apparate einschließlich komplexerer Bildbearbeitungsprogramme bestimmte diese inszenierte Fotografie ihre Wege. Sicher handelt es sich bei den Bildproduktionen der Jugendlichen um eine hybride Mischung der oben angedeuteten Einflüsse.

„Die einschneidende Pluralisierung betrifft seit langem auch die Individuen. Identität ist immer weniger monolithisch, sondern nur noch plural möglich. Leben unter heutigen Bedingungen ist Leben im Plural, will sagen: Leben im Übergang zwischen unterschiedlichen Lebensformen.“[23]

Der Bildungsforscher Jörg Zirfas stellt in dem Sammelband seinen Entwurf einer Subjekttheorie unter dem Titel „Phänomenologien der Identität“ vor. Das hybride Selbst steht einem in sich ruhenden Ich oder Persönlichkeitskern, wie er noch beispielsweise idealistisch von Hegel oder später Eriksson vertreten wurde, entgegen. Der Autor expliziert zu Recht die Problematik der Identität methodisch in Form einer Konstellation (S. 205-243).  Im Blick auf das „Ich in der Moderne“ zeigt er eine kulturhistorische Perspektive der Identität auf.  Neben der Unterscheidung zwischen mimetischer und pragmatischer Identität wird der Themenkreis von Körper, Geschlecht und Inszenierung vorgestellt. Hier ergibt sich eine Verbindung zu der Selbstinszenierung im Medium Fotografie Klasse 12 und 13 in der Kategorie Körperdarstellung und Porträt. (Cluster I im Buch S. 13-26) Zentral wird ab Seite 113 das „Bild des ästhetischen Selbst“ unter dem Gesichtspunkt einer spielerischen Qualität der Inszenierung untersucht.

Beobachtet man die Selbstinszenierungen von Jugendlichen auf einer derzeit populären Social Media Plattform wie Instagram, kann die ludische Qualität der Inszenierungspraktiken im Bildumgang schnell deutlich werden. Man achtet auf eine perfekt gestylte Oberfläche der Pose von Körper und Gesicht, entwirft einen Schein von Identität im virtuellen Raum, die den größten Teil realer Alltags-Identität ausklammert. Eine fiktive virtuelle Identität erschafft sozusagen einen digitalen Doppelgänger, durch den man sich seiner Identität vergewissert und zeigt, wie gut man lebt. Durch Likes gibt es eine Rückmeldung, was anderen gefällt und was nicht so ankommt, so dass diese fiktive Identität durch die kollektive Anonymität erzeugt wird. Auch wirkt im Vordergrund eine spezielle massenmediale Kitsch-Ästhetik, die Selbstbilder und Schönheitsideale als Klischees konstruiert. Das schöne, problemlose und freudige Leben wird narzisstisch konnotiert. Immer wieder steht bei der Auswahl von Bildern im Vordergrund, wie gut es einem geht. Hässlichkeit oder bittere Selbst-Erkenntnis spielen kaum eine Rolle. Das Narrativ eines erfüllten Lebens in den Kreisen der Freunde dominiert. Das private Konto nur mit Menschen zu teilen, denen man es erlaubt, die eigene Privatheit zu sehen, entscheidet als Sicherheitsfaktor über das, was man wem zumuten kann oder zugemutet bekommen möchte. Die Bildkommunikation entscheidet in Bruchteilen von Sekunden meist über schön oder nicht schön, gefällt mir, gefällt mir nicht, das unreflektierte spontane Geschmacksurteil entscheidet über Zugehörigkeit und Coolness. So entwickeln sich in den Inszenierungspraktiken Trends und visuelle kollektive Vorlieben gleichzeitig bei Millionen Usern.

Für meine im Buch aufgeworfene Frage zu „Identität als Medialität“ ist ebenso wichtig das Thema „Medialitäten und Technologien“, S. 157. Hier ergibt sich eine Verbindung zu den Videoclips aus Klasse 12, die ich mit der Feldpartitur analysiere (siehe Materialien zum Unterricht, Videoanalyse). In diesem Kontext stellt Zirfas im Kapitel „Biographische Identität“ und die „Ästhetik des Selbst“ mediale, simulierte, virtuelle, reale Identität dar (ebnd. S-157-179). Die Studie mündet dann in Grenzgängen, welche zentrale Konzepte heutiger Auffassungen von Identität mit Bezug auf Dekonstruktivismus, Narzissmus, Existentialismus und Ethik berühren. Hier liegen ebenso Anknüpfungspunkte für eine theoretische Vertiefung der Beispiele aus der Praxis.

Wenn man die Aufmerksamkeit auf die Hervorbringung der Gedanken richtet, wie sich unser Bewusstsein und die Wirklichkeit konstituieren, wenn ich also versuche, auf die Ereignisse in der Hervorbringung von Subjektivität selbst die Aufmerksamkeit zu richten, entsteht gerade für ästhetische Fragen ein subtiles Beobachtungsfeld. Novalis möchte ich in diesem Sinn als einen Vordenker einbringen, weil er genau diesen „Quellpunkt aller Realität“ in seinen philosophischen Studien als „Kunst der Ich-Werdung“ untersucht und dabei einen Beitrag liefert zum Bild vom und der Bildung des Selbst. Zu Unrecht ist dieser heutzutage etwas in Vergessenheit geraten, wie mir scheint.


4.1. Philosophie der „Nicht- Identität“ bei Novalis

Novalis‘ philosophische Werke[24]enthalten Anknüpfungspunkte, mit deren Hilfe sich der Zusammenhang von „Nicht-Identität“ und Imagination ästhetisch denken lässt. Sie können zugleich produktive Ansätze für die Unterrichtspraxis in der Kunstpädagogik vermitteln, welche bei den bislang angeführten Autoren kaum zu finden sind. Zur Nicht-Identität in der Lesart Buschkühles, Subjektivierung durch Imagination bei Laner sowie zur Relativierung des Ichs als Epiphänomen bei Zirfas möchte ich deswegen anhand der Fragmente des Novalis auf ergänzende Perspektiven hinweisen.

»Dis ist der berühmte Widerstreit im Ich - der die Caracteristick des Ich ausmacht - der in der absoluten Urhandlung schon befindlich ist - und der nichts ist als eine nothwendige Täuschung des mittelbaren Ich allein - das aufhören will mittelbares Ich zu seyn und insofern sich selbst widerstrebt« NS, Das philosophische Werk I Band 2 (S. 127) 32

Wie in meiner Publikation „Mit dem Leben verbinden“ (S.29) zitiert, deutet der „Widerstreit im Ich“ auf dieses seltsame Phänomen der Verdopplung hin, welches sich in vielen Beispielen aus der Praxis in Cluster I findet. Im Umgang mit digitaler Fotografie tritt dieser Widerstreit auch im Motiv des Spiegels zutage. Widerstreit insofern, als dass ein Zwiegespräch einsetzt mit etwas in mir Selbst. Dieser Zwiespalt als Erfahrung der Differenz scheint mir ein typisches Phänomen der „Identitätskrise“ nicht nur bei Jugendlichen. William Kentridge beschreibt als Künstler dieses Phänomen der inneren Spaltung in seinem Beitrag „Mit den Füßen denken“ als zentrale Qualität im künstlerischen Schaffen selbst.[25] Das Zitat ist entnommen einer ausführlichen Betrachtung zur „Ästhetischen Theorie“ von Fabienne Liptay: „Praktische Epistemologie“. Die Autorin analysiert hier das Verhältnis von Kentridge als Künstler zur Reflexion auf seine eigene künstlerische Tätigkeit[26]. Kentridge wird im Cluster III ausführlicher besprochen.

Dieses Andere in mir selbst kann sich als innerer Mephisto und sarkastischer Schwätzer gebärden. Es kann aber auch eine Wachheit sein, die in der Lage ist, sich distanziert den eigenen Leiden gegenüberzustellen und so zu einem reflektierten Umgang mit sich selbst zu führen. Zumindest tauchen solche Erfahrungen im Umgang mit Bildern, wie bewusst auch immer, anhand der Bildbeispiele im Buch wiederholt auf. Dieser aktive Prozess wird von Novalis als konstruktiver Prozess gedeutet, der dem Erschaffen eines Kunstwerks gleicht. Der Philosoph entwickelt durch diese wissenschaftlich-künstlerische Tätigkeit spielerisch einen willensbetonten Akt, das Erschaffen einer Wirklichkeit, die so in der Natur nicht existiert, sondern vom Menschen in Freiheit erst hervorgebracht werden kann. Es bringt sich der Mensch, unabhängig von der biologischen Evolution, selbst als seelisch geistiges Wesen erst hervor.

„..... Wir sehen daraus, daß wir hier im Gebiet der Kunst sind, aber diese künstliche Supposition ist die Grundlage einer echten Wissenschaft, die allemal aus künstlichem Faktis entspringt. Das Ich soll konstruiert werden. Der Philosoph bereitet, schafft künstliche Elemente und geht so an die Konstruktion. Die Naturgeschichte des Ich ist dieses nicht – Ich ist kein Naturprodukt, keine Natur, kein historisches Wesen, sondern ein anarchistisches, eine Kunst, ein Kunstwerk. Die Naturgeschichte des Menschen ist die andere Hälfte. Die Ichlehre und Menschengeschichte, oder Natur und Kunst, werden in einer höhern Wissenschaft (der moralischen Bildungslehre) vereinigt und wechselseitig vollendet. (Natur und Kunst werden durch Moralität gegenseitig armiert ins Unendliche.)   NS Das Philosophische Werk II Band 3, 76 Allgemeines Brouillion S. 253

„Jeder Mensch ist ein Künstler“ – dieses häufig strapazierte Credo von Josef Beuys findet sich in verschiedenen Nuancen ursprünglich bei Novalis.

"…Jeder Mensch sollte Künstler sein. Alles kann zur schönen Kunst werden…"  NS Das Philossophische Werk I, Band 2 Glauben und Liebe oder der König und die Königin, 39, S. 497

Denken wollte Beuys als eine plastische Kraft verstanden wissen. Im Erkennen selbst existiert für ihn die Möglichkeit, ein gestalthaft-plastisches Denken zu entfalten, was aller Kunstpädagogik in rezeptiven sowie produktiven Prozessen, dem bildnerischen Anschauen allgemein, zu Grunde liegt!

„Das Denken ist, wie die Blüte, gewiß nichts, als feinste Evolution der plastischen Kräfte- und nur die allgemeine Naturkraft in der Dignität. Die Denkorgane sind die Weltzeugungs-die Naturgeschlechtsteile“ NS Das philosophische Werk, II Band 3, S.476 , (1144).

Die Menschwerdung als Kunstwerk zu begreifen, zielt ins Herz einer als Kunst verstandenen Kunstpädagogik.

“Im Ich, im Freiheitspunkte sind wir alle in der Tat völlig identisch – von da aus trennt sich erst jedes Individuum. Ich ist der absolute Gesamtplatz, der Zentralpunkt.” ???

Der sich selbst als Kunstwerk bildende Mensch betätigt den zentralen Schlüssel, das geheimnisvolle Rätsel des Ich! Viele der Fragmente des Novalis weisen auf seinen Weg in das schöpferische Zentrum des Ich, wo heraus alle Welt, Realität, Kunst und Natur hervorgeht.

„Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein...“ NS (Das philosophische Werk I, Band 2,  S. 424, 28)

Sich seines transzendentalen Selbst zu bemächtigen wird von Novalis als ein magisches Ereignis umschrieben. So tastet er danach, Erkenntnisgrenzen zu durchbrechen und versucht das Unmögliche, das Göttliche, in seinem Ich zu erfahren.

„Gott ist gerade so persönlich und individuell, wie wir-denn unser sogenanntes Ich ist nicht unser wahres Ich, sondern nur sein Abglanz.“ ??

Kant bezeichnet das transzendentale Selbstbewusstsein als einheitlichen Grund des theoretischen Vermögens, ohne aber zu untersuchen, was denn die Subjektivität an sich ausmacht. Er untersucht also nicht wie Fichte in seiner späten Wissenschaftslehre oder Hegel minutiös in der „Phänomenologie des Geistes“ das Selbstbewusstsein an sich. Ich oder Identität als ein in sich kohärentes Feld der Selbstgewissheit bezieht sich auf den Kern der Persönlichkeit. In der Philosophie des Idealismus wurde es in der Selbstreferentialität der Wissenschaftslehre von Fichte als absolutes „Ich bin“ gesetzt! Novalis verortet - anders als Fichte - diese intellektuale Anschauung in einer allem bewussten Denken vorausgehenden präreflexiven Zone der Sphäre des Selbstgefühls für das Ich. Kurz gesagt: Er verortet das Ganze in dem Zusammenspiel von Gefühl und Reflexion. Das hierin wirkende göttliche Absolute Ich kann in seiner Auffassung der intellektualen Anschauung tätig erfahren werden, aber nicht in der gewöhnlichen Reflexion.

Wie anhand von Zirfas Arbeit „Phänomenologien der Identität“ beschrieben, wird Identität insgesamt oder das „transzendentale Selbst“ im Zusammenhang mit religiösen Erfahrungen heute im wissenschaftlichen Kontext als subjektives Konstrukt zugunsten einer hybriden „Bastelidentität“ weitgehend abgelehnt. Die Erkenntnisansätze des Deutschen Idealismus oder eine seelisch geistige Dimension des Ich im Sinne von Novalis werden in der Studie von Zirfas ausgeklammert.  Allein historisch betrachtet führt dies zu einer Verengung der Sichtweise.


4.2. Aktualität von Novalis - Vergleich mit der Konzeption des Selbst bei Dan Zahavi

Dan Zahavi[27]thematisiert als Phänomenologe Gedanken, die dem Selbstkonzept des Novalis verwandt sind. Das Selbst wird in den meisten Strömungen der Neurowissenschaften zum Epiphänomen. Das Ich wird reduziert auf ein Konstrukt genetischer und materiell-physiologischer Prozesse. Das Konzept „Ich“ sei, so fasst Zahavi zusammen, eine historisch kurze Epoche eurozentrischer Selbstbespiegelung. Novalis war, wie im Folgenden genauer zu zeigen sein wird, ein Vordenker eines modernen Selbst-Konzeptes, welches in aktuellen Strömungen der Phänomenologie für das Verständnis von Bewusstsein als grundlegend erachtet wird. The."notion of self is crucial for a proper understanding of consciousness“ [28]. Zahavis Studie thematisiert aus der Erste-Person-Perspektive das fühlende Selbst als Gewahrsein. Das transzendentale Selbst, das Ich seines Ich zu sein, wird durch die philosophischen Forschungen des Novalis schon um 1800 thematisiert. Zahavi bringt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in seiner Studie „Subjectivity_and_Selfhood“ im fünften Kapitel „Consciousness and Self“ ähnliche Fragen zum Ausdruck. Selbst und Ich werden hierbei synonym verstanden.

„Contrary to what some of the are claiming, one does not need to conceive of the self as something standing apart from or above experiences, nor does one need to conceive of the relation between the self and the experience as an external relation of ownership. It is also possible to identify this pre-reflective sense of mineness with a minimal, or core, sense of the self."[29]

Die Spaltung des Ichs im Falle der bewussten Reflexion auf das Subjekt des Reflektierenden bringt die heute zunehmend in der Wissenschaft diskutierte Gegebenheit der Erste-Person-Perspektive der Bewusstseinsforschung in der Phänomenologie hervor.

"In other words, the idea is to link an experiential sense of the self to the particular first- personal givenness that characterizes (characterizing) our experiential life; it is this first- personal givenness that constitutes the mineness or ipseity (vagueness)of the experience. Thus, the self is not something that stands opposed to (opposing) the stream of consciousness, but it is rather immersed in the conscious life; it is an  of its structure."[30] 

Meine Hypothese beruht auf der Behauptung, dass ästhetische Erfahrungen gerade in der Kunstpädagogik einen direkten Einfluss auf diese Identitätsprozesse in der Jugendbiografie ausüben. Das Selbst wirkt im Sinne von Zahavi als "in den Strom des Bewusstseins eingetaucht“, als ein transzendentales Selbst und Potenzial in der Biografie. Eben diese Empfindung des „eingetaucht [seins] in den Strom des Bewusstseins“ entwirft kein abgehobenes theoretisches Modell, sondern diese Anschauung konkretisiert die Möglichkeit, den Jugendlichen durch praktische Tätigkeit eine kohärente Empfindung von Selbstwirksamkeit durch ihre schöpferische Willensaktivität in künstlerischen Erfahrungen zu vermitteln.


4.3. Historischer Kontext der Fragmente

Das „Absolute Ich“ ist in der Philosophie des Idealismus das Handelnde und das Produkt der Handlung. Dieser Vorgang ist nach Fichte Ausdruck einer Tathandlung, was man ebenso als These konstruktivistischer Philosophie lesen könnte. Das Ich als passiv Gesetztes und als aktiv Setzendes erscheint als paradoxe Spaltung einer passiven Aktivität.

Novalis studierte über einen längeren Zeitraum die gerade erst im Entstehen begriffene frühe Wissenschaftslehre von Fichte. Sichtweisen von Novalis und von Fichte entwickelten sich in der damaligen Zeit parallel und simultan.

„Nach Fichte ist Ich gleichsam das Resultat des Universums. Um Ich (mit Bewußtsein) zu setzen, muß ich gleichsam das Universum voraussetzen-so wie gegenteils die absolute Setzung des Ich nichts anders ist als die Setzung des Universums.“

NS, Das philosophische Werk II Band 3, S.471, 1116


Die Spaltung des Bewusstseins gleicht mitunter einer „Schizophrenie“ in der Selbsterkenntnis, was Hegel und auch Novalis in der Auseinandersetzung mit Goethes Faust und seinem Widersacher Mephisto bewusst war und was Hegel, durchaus im Sinne einer schwarzen Romantik, dämonisch konnotierte, als eine dialektische Entzweiung.[31]Das Ich spaltet sich in das Beobachtete und Beobachtende. Die Geburt des modernen Bewusstseins stellt sich in der „Sattelzeit“ (Reinhart Koselleck)[32] um 1800 vermehrt ein. Das Ich steht sich selbst introspektiv gegenüber. Erstmals erscheinen diese Vorgänge in der Jugendbiografie verstärkt in Klasse 12 und 13 stattzufinden (siehe meine Lesart der Praxisbeispiele im Buch, S.29). Hegel vollzieht nach dem Tod des Novalis 1801 in der „Phänomenologie des Geistes“ 1807 diese Beobachtung als eine revolutionäre Form der Erkenntnistheorie der Wissenschaften. Hauptsächlich beziehe ich mich dabei auf die zitierte Vorlesung von Groys am ZKM[33], in welcher er anhand der Phänomenologie des Geistes von Hegel anschaulich eben diese Spaltung des Bewusstseins im Denkprozess selbst beschreibt. Ähnlich wie Hegel und Fichte ihre umfassende Wissenschaftstheorie entfalten, entwickelte Novalis in seinem Fragment des „Allgemeinen Brouillion“ eine Enzyklopädistik, einen Systementwurf zu einer Synopse dessen, was Wissen ist. Viele Denker beginnen während dieser Zeit bei Kant und seiner Kritik der Urteilskraft. Kant richtete die Grenzen der Erkenntnis auf, indem er darauf verwies, dass man das Ding an sich in der Welt nicht erkennen kann, sondern nur die Vorstellungen, die man subjektiv darüber entwickelt. Fragen wie beispielsweise, ob Gott gütig ist, seien illegitime Fragen. Sie können nicht beantworten werden. (Wie tragisch diese Erkenntnisgrenze auf manche Geister der Zeit sich auswirkte, kann man an der existenziellen Krise sehen, in die Kleist dadurch geriet.) In Kants Erkenntnistheorie, der Kritik der praktischen Vernunft, Kritik der Ästhetik und Kritik der Urteilskraft negiert er die “Intellektuale Anschauung“. Der regelrechte Streit um die Verwendung dieses Begriffs “Intellektuale Anschauung“ spiegelt die geistigen Auseinandersetzungen der Zeit.[34] Bestimmte Fragen wie die nach einer tieferen absoluten Wahrheit in Gott, konnten so aber für viele regsame Künstler und Philosophen nicht beantwortet werden. Kant war gleichsam ein Funke der Aufklärung, an dem sich produktiv die jüngere Generation im Widerspruch entzündete. Hegel interessierte sich aber zutiefst für die eigene Erkenntnispraxis, das Selbstbewusstsein, wie die Subjektivität selbst beschaffen sei. Wenn es legitime Fragen gebe, dann die nach der Wahrheit. Er kehrte Kant sozusagen um und fragte nicht nach der Beschaffenheit der Welt, und wie sie sich in unseren subjektiven, durch den Verstand geregelten Vorstellungen spiegelt. Hegel interessierte sich nicht für die Beschaffenheit der Welt sondern dafür,  wie das eigene Erkennen beschaffen ist. Die Lesart von Groys ist eine Auslegung des Textes der „Phänomenologie des Geistes“ von Hegel. Groys entwickelt in dieser Audio-Datei von der Vorlesung eine spezifische Sicht, die erst durch das Anhören der Datei die besondere Qualität klärt. Groys meint, dass Hegel nach dem Grund für die eigene Erkenntnispraxis fragt, nämlich wie man als Subjekt beschaffen ist. Groys beginnt in seiner Interpretation mit einer knappen Zusammenfassung der erkenntnistheoretischen Fragen zur Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“. An diesem Punkt stellen die englischen Empiriker die Frage, ob man von den Dingen der Welt überhaupt etwas wissen könne. Darauf antwortet Kant entschärft und eingeschränkt in der „Kritik der reinen Vernunft“,  Groys bezieht sich auf Hegel anhand der Ausgabe von Suhrkamp, Taschenbuch, Wissenschaft. Dabei hebt er in der zitierten Datei im Fortgang die Frage nach dem Selbstbewusstsein hervor. Es stellt sich die Frage nach der eigenen Erkenntnispraxis, nach der Wahrheit und die Schlüsselfrage nach dem eigenen Selbstbewusstsein. Man muss die alte Frage danach, wie die Welt beschaffen ist, ersetzen. Man muss danach fragen, wie die eigene Subjektivität und der eigene Geist beschaffen sind. Hegel beobachtet phänomenologisch die dialektische Bewegung im Erkennen und das Selbstbewusstsein an sich. Er wendet die Reflexion auf die Subjektivität selbst an und beobachtet in der Selbsterkenntnis die Spaltung des Bewusstseins als Entzweiung und damit als Erkenntis- Bewegung in der Dialektik. ,Auch Novalis fasst diese als „Widerstreit im Ich“ auf. Die „Phänomenologie des Geistes“ wurde erst nach dem Tod des Novalis 1806 veröffentlicht. Im Kanonendonner von Napoleons Truppen vollendete Hegel sein epochales Werk.

4.4. Novalis und die Wissenschaftslehre Fichtes

Zehn Jahre vor  dem Werk der „Phänomenologie des Geistes“ kam Novalis in seinen Fichtestudien[35]1795-1796 zu einer umfassenden Erkenntnis einer dialektischen Denkform, die den Zusammenfall der Gegensätze erfasst. Er überschreitet so streng genommen die rein idealistische Position. „Novalis erreicht unter Aufbietung eines hochkomplizierten und verwirrenden Begriffsapparats wirklich, was keinem seiner Zeitgenossen gelungen ist: die Rede vom Absoluten plausibel zu machen ohne einen transzendenten Zugriff auf die unerkennbare Praxis.“[36] Manfred Franks eben zitierte Studie thematisiert diese philosophischen Leistungen des Novalis, doch ohne die in den geistlichen Liedern unmittelbare Realität gewordene Dimension metaphysisch mystischer Erfahrungen des Novalis zu betonen. Identität als eine Übereinstimmung mit sich selbst wird von Novalis zunächst noch am Anfang seiner Fichte-Studien philosophisch problematisiert.

„Das Wesen der Identität lässt sich nur in einem Scheinsatz aufstellen. Wir verlassen das Identische um es darzustellen – Entweder dis geschieht nur scheinbar – und wir werden v[on] d[er] Einbildungskraft dahin gebracht es zu glauben – es geschieht, was schon Ist – natürlich durch imaginaires Trennen und vereinigen – Oder wir stellen es durch sein Nichtseyn, durch ein Nichtidentisches vor ...“   NS Das philosophische Werk I, Band 2, S. 104.

Novalis weist Fichte einen Widerspruch nach. Er sieht vor dem Prozess der reflexiven Ich-Setzung schon eine präreflexive Existenz des Ich, welche aus der unbewussten Verbindung des Gefühls mit dem Absoluten durch den Glauben resultiert.

„Reflexives Selbstbewusstsein vermag [...] die Spaltung in reflektierendes und reflektiertes Ich nie zu überwinden, sondern allenfalls unendlich zu potenzieren – was die absolute Identität [von Sein und Schein – doch nur immer weiter aufschiebt."[37]

Auch wenn Fichte in seiner ursprünglichen Einsicht „...eine intuitive, präreflexive Bestimmung von Subjektivität“ durch seine Setzung des „Absoluten Ichs“ vollzog, gab es den Widerspruch, dass diese Setzung wiederum nur durch Reflexion möglich war, auch wenn Fichtes Ausnahmezustand der Ich-Setzung als Tathandlung die gewöhnliche Reflexion überschreitet. Das unfassbare Absolute selbst erscheint in der Reflexion für Novalis nicht wirklich. Die „Intellektuale Anschauung“ Fichtes unterscheidet sich so von der des Novalis dadurch, dass er der Einbildungskraft durch ihre die Gegensätze vermittelnde Dynamik eine weitere entscheidende Qualität zuweist, weil sie „... durch imaginaires Trennen und vereinigen...“ eine Vermittlung der Gegensätze bewirkt und eine besondere Beziehung stiftet zwischen Reflexion und Gefühl. Dieser zunächst hier rein philosophisch diskutierte Anschluss der Subjektwerdung an die Emotionalität ist jedoch für das künstlerische Schaffen essentiell, weil in der künstlerischen Tätigkeit die Aufmerksamkeit fortwährend darauf gelenkt wird, wie die Erkenntnis sinnlicher Wahrnehmungsqualitäten Emotionen auslöst. Wachheit für diese Reflexionen, in denen das Ich mit sich selbst kommuniziert, stimuliert die Ich-Tätigkeit.

“Der »Trieb Ich zu seyn…« (NS Philosophische Werke I, Band 2 S.126, Nr. 32) löst sich selbst analytisch auf in den »Trieb zu denken und zu fühlen«.

Ohne die inwendige Reflexivität könnte sich das Ich nicht als Ich artikulieren“ (S. 127 oben) — es muß darum »getheilt seyn«. Ich kann nur ein solches Wesen zu sich sagen, welches sich sich selbst entgegenstellt, um sich als das, was es ist, anzuschauen, was aber über der Anschauung die Einheit verliert und sich zugleich trennt.”[38]

Die Abhängigkeit des Reflexionsprozesses, in welchem Fichte das Ich und Nicht-Ich als Gegensätze postuliert, ist aber für Novalis abhängig von der Existenz des absoluten Ichs, welches durch das Selbstgefühl in der Reflexion immer schon präsent ist.

»Beyde scheinen sich nur von einem Ich abhängig zu seyn - und keins bemerkt hiebey den Einfluß des Andern, durch das Identische [hindurch]« (a.a.O.). Das absolute Ich hat sich »also (in) 2 Ich« zerspalten, von denen»absolut keins« ist und die beide »ihr Abhängiges (zwar) ... fühlen«, aber nicht in ihrem Gegensatz suchen.Beide also, Ich und Nicht-Ich sind abhängig »vom Iche« - eine unüberhörbare Fichtekritik![39]

Novalis überwand Fichtes Setzung des absoluten Ich Bin. Die Reflexion auf das Ich, die eigene tätige Handlung im Denkvorgang in Polarität zum Nicht-Ich, die Reflexion auf die Natur (Nicht-Ich) erfasste er als ein Geschehen, denn er kam zu der Einsicht, dass in der Philosophie Fichtes das Problem nicht gelöst werden konnte.

4.5. Die Urhandlung des Novalis –

„Greift doch eine Handvoll Finsteniß...“ 3, NS Das philosophische Werk I, Band 2 S. 106. Fast wie ein unlösbares Koan, ein meditativer Sinnspruch, der zur Erleuchtung führt, muten sich viele der Fragmente des Novalis in seinen Fichte-Studien an. Der stilistische Charakter der Fichte-Studien ist geprägt von einer tastenden Begriffsmodulation, als ob man in der Werkstatt eines Künstlers teilhat an der Tätigkeit der Hervorbringung einer künstlerischen Denkaktivität. Synonyme Verwendung von Begriffen, paradoxe Formulierungen, dialektisch prozessuale Vorgänge, die Polaritäten vermitteln. All das sind elementar künstlerische Vorgänge.

Die »mit sich selbst in Wechselwirkung« befindliche»Urhandlung« oder das »unbedingte Ich« (122/3, Nr. 25 und 28) bestimmt sich selbst als Thesis durch die Antithesis, beide sind »im Ich«. Ich erscheint also nirgends mehr —wie bei Fichte - als Ausgangspunkt eines Gegensatzes zum Nicht-Ich, sondern als Sphäre eines endlich als Zeit interpretierten Prozesses, in der Ich sich als »Gefühl«, »Stoff«, in ihm selbst der »Reflexion« oder »Form« überantwortend zu erkennen gibt und so thetisch bewußt macht (122, Nr. 27)."[40]


„Sphäre ist der Mensch“ „...zwei Hälften bilden eine Sfäre, Reflexion und Gefühl...“. NS Das philosophische Werk I Band 2, S.115

In der „Sfäre“, der Verbindung der Polarität, kann der Mensch das Absolute erfassen, “ eine Handvoll Finsternis greifen“.  Während Fichte die Ich- Setzung als Thathandlung und den Willensaspekt als Reflexion im Denken selbst betont, grenzt sich Novalis davon ab, weil Fichte übersieht, dass ein latentes „sich haben des absoluten Ichs“ schon präreflexiv vorhanden sein muss, um überhaupt Ich setzen zu können. Diese Präreflexivität des „Absoluten Ich“ verortet Novalis im Selbstgefühl als schon vorhanden. Es geht ihm verstärkt um den systematischen Zusammenhang von Denken und Fühlen, wo heraus die Urhandlung erst für die „Filosophie“ entsteht, indem sie diesen Prozess zwischen Denken und Fühlen dann wiederum anschaut. An dieser Stelle möchte ich auf das Diagramm auf der ersten Seite verweisen, in welchem die unterschiedlichen Sphären des Ich als ineinander verschränkt erscheinen. Das „analytische Ich“ der ersten Reflexion konstituiert sich durch das „synthetische Ich“ erst dann in dieser zweiten Reflexion. Im Gefühl wurzelt basal das Bedürfnis, der Trieb nach Philosophie, nach der Liebe zum Wissen. Das Gefühl ist so der Reflexion partiell unbewusst imprägniert. Wäre sie gänzlich ohne einen Anteil von Reflexivität, könnte sie schwer bewusst werden. Es geht Novalis um den systematischen Zusammenhang von Denken und Fühlen, die sich graduell einander annähern und stufenweise an sich partizipieren. Die Reflexion als Vorgang geht auf die reine Form, sie ist dabei pure Subjektivität. Die Reflexion spiegelt sich im Stoff des Gefühls, es entsteht hierbei ein bestimmtes Produkt. Die Reflexion beschränkt sich in diesem Vorgang selbst. Im Wesen der Reflexion selbst liegt es, zur Beschränkung zu werden, da sie sich in der Form bestimmt. Im Wesen des Gefühls liegt das Unbeschränkte, welches durch die Begegnung mit der Reflexion beschränkt wird. Das Gefühl aber gibt dabei der Reflexion erst den einen kontingenten Stoff. Es handelt sich  in der sich manifestierenden
1. Reflexion um eine, von der freien unendlichen Idee her gesehen, herabgelähmte und individualisierte beschränkte Vorstellung, die von dem Gefühl durch das synthetische Ich rückbestimmt wird.

4.6. Ordo inversus

Novalis verlegt die Vergegenwärtigung der intellektuellen Anschauung auf das Primat des Gefühls, weil es unbewusst Anteil hat am ungeteilten Sein des Absoluten; Gott oder „Absolutes Ich“, diese Worte werden von ihm synonym verwendet. Das Gefühl als Selbstgefühl weiß halb bewusst um das „Absolute Ich“.

Hieran entwickelt er die komplexe Figur des „ordo inversus“, seine Entdeckung eines komplexen doppelten Spiegelungsprozesses. (siehe Link Hypertext Installation Gerhard Richter )

Der „ordo inversus“ zeigt eine Kreisbewegung, die von einem Anfangspunkt ausgeht und sich in der Rückkehr wieder mit diesem verbindet, also eine invers strukturierte Hin- und Her-Bewegung. Diese sich hierbei aus Gegensätzen eröffnende „Sfäre“ oder „Muttersfäre“ knüpft an das klassische Sphärenmodell an, in welchem der Philosoph das Absolute erfährt. Gott geometrisiert fortwährend, sagte Platon. Er wird der Ewigkeit teilhaftig, eine Figur des „ordo inversus“ war schon immer in der europäischen Geschichte vorhanden, im 18. Jahrhundert jedoch in die Krise geraten und durch die Konzepte der Romantiker wiederum substituiert.[41]

„In sich zurückgehen, bedeutet bei uns, von der Außenwelt abstrahieren. Bei den Geistern heißt analogisch, das irdische Leben eine innere Betrachtung, ein in sich Hineingehen, ein immanentes Wirken. So entspringt das irdische Leben aus einer ursprünglichen Reflexion, einem primitiven Hineingehen, Sammeln in sich selbst, das so frei ist, als unsere Reflexion. Umgekehrt entspringt das geistige Leben in dieser Welt aus einem Durchbrechen jener primitiven Reflexion. Der Geist entfaltet sich wiederum, geht aus sich selbst wieder heraus, hebt zum Teil jene Reflexion wieder auf, und in diesem Moment sagt er zum erstenmal Ich. Man sieht hier, wie relativ das Herausgehen und Hineingehen ist. Was wir Hineingehen nennen, ist eigentlich Herausgehen, eine Wiederannahme der anfänglichen Gestalt.“   NS  Das philosophische Werk I Band 2 S.431 43 (45) Blütenstaub

Reflexionen sind Spiegelungen. Auch der Mond wirft das Licht der Sonne zurück und erzeugt selbst kein Licht.  Licht, welches Bewusstsein und Wahrnehmung überhaupt erst ermöglicht, wird dabei metaphorisch als Spiegelung thematisch.

4.6. Reflexionen und Spiegelung

„Seinen Grundgedanken des ordo inversus entfaltet Novalis nun an diesem Verhältnis aus Gefühl und Reflexion. Leiten lässt er sich dabei von der im Reflexionsbegriff angelegten Spiegelmetapher. Was sich im Spiegel zeigt, erscheint seitenverkehrt, so auch der vom Gefühl an die Reflexion vermittelte Gehalt.“[42] ]

„Dies – und hier zeigt sich die Stärke der Metapher – entspricht auch der Alltagserfahrung im Umgang mit doppelten Spiegelungen. Man sieht die Dinge in der doppelten Spiegelung wieder richtig herum. Das Bild bleibt aber Bild und lässt viele Qualitäten des Originals wie z.B. Geruch, Haptik etc. nach wie vor vermissen. Die zweifache Spiegelung wird also nicht eingeführt, um die Reflexion in ihrem  den ursprünglichen Gehalt und vergegenständlichenden Charakter ungeschehen zu machen. Sie zielt vielmehr auf Kennzeichnung der Undarstellbarkeit des Absoluten unter den Bedingungen der Reflexion."[43]S. 37

Da aber für Novalis keine Erkenntnis des Absoluten in reflexivem Sinne möglich ist, rückt er zu Beginn der Fichte-Studien den bereits von Fichte im Zusammenhang mit der internen Rezeptivität des Ichs verwendeten Begriff des Gefühls in den Mittelpunkt.

„Was ist denn ein Gefühl?“ NS, Das philosophische Werk I Band 2 S. 114  "fragt Novalis zweimal insistierend an prominenter Stelle – und dies nicht ohne Grund, denn das Gefühl wechselt bei ihm zuweilen die Systemstelle und scheint in etlichen Formulierungen zum unendlichen Gehalt selbst zu werden. Gerade dieses Changieren ist es aber, dem in der vorliegenden Untersuchung besonderes Augenmerk geschenkt werden soll, da sich hier Spuren eines anderen Philosophierens ablesen lassen, das den Widerspruch zu einem ausschließlich transreflexiv verfassten Absoluten bewusst ausagiert und der Transreflexivität bzw. Transzendenz des Absoluten qua stehender Disjunktion dennoch ihren Platz lässt.“[44]

Wie findet man die Wechselherrschaft zwischen Denken und Gefühl? Die Wechselherrschaft ist diese „Sfäre Mensch“ im Zusammenspiel der Gegensätze. Die Beobachtung der Bewegung auf der Achse zwischen Reflexion und Gefühl zeigt ein dynamisches Ineinander, so dass ein peripheres Ich-Gefühl, halb bewusst als „Sfäre- Mensch“ spürbar wird, es entsteht ein Gefühl der Reflexion, eine Reflexion des puren Gefühls. Das Gewahrwerden des Selbst als Bewusstheit muss vom reflexiven, das Sein setzenden Wissen unterschieden werden. Durch das Fühlen oder den Glauben. Das Ich fühlt sich selbst als Gehalt. Novalis umschreibt dies als „Muttersfäre“ NS 112, als ein Bild des Seins außerhalb des Seins an sich.

Ein nicht ableitbares Selbstgewahren bringt das Selbstbewusstsein hervor. Der unvordenkliche Grund bedarf der Reflexion, um sich als Sich oder „höheres Selbst“ unabhängig von einer egozentrischen Sicht zu vermitteln. Das bewusste Setzen ist Sein außer dem Sein, aber im Sein, oder eben: ein Bild. Die absolute Idee erscheint abgeschattet als Bild des Seins, als ein gespiegelter Schatten der Idee. Der Bewusstseinsakt in dieser Reflexion ist aber eine Synthese aus Wissen und Gefühl. Dieser Akt wird im künstlerischen Tun als Kraft der Imagination belebt.  Die Empfindung des Selbstseins schwingt in dem Prozess der Reflexion als „peripheres Ich“ aus der präreflexiven „Muttersfäre“ im Gefühl latent mit.

4.7. Schweben der Einbildungkraft – „Über die Natur des Schwebens“ NS 266

Die Bewegung zwischen diesen beiden Polen ereignet sich in der Sphäre.  Bewegung zwischen dem Gefühl und Denken kann als Oszillation mit pulsierendem Atem verglichen werden. Diese Pulsation bedeutet Leben, welches sich in Rhythmen entwickelt. Und künstlerisches Leben in diesen Prozessen entfaltet sich im Atem solch musikalischer Rhythmen. Eine Wahrnehmung dieser Lebensrhythmen kann durch künstlerische Tätigkeit bewusster werden. 


»Ich bin nicht inwiefern ich mich setze, sondern inwiefern ich mich aufhebe.« (NS Das philosophische Werk I, Band 2 S.196)

„Sollte es noch eine höhere Sfäre geben, so wäre es die zwischen Seyn und Nichtseyn – das Schweben zwischen beyden – Ein unaussprechliches, und hier haben wir den Begriff von Leben.“ (Das Philosophische Werk I, Band 2, S.106, 3)

Lebendigkeit wirkt in dieser Ich-Tätigkeit der schwebenden Einbildungskraft, die tätige Imagination kann so bildschaffende Formen hervorbringen. Wie in der Kunst werden im Denken selbst gestaltende Gesten erfahrbar. Leben im Menschen und in der Natur wird durch Rhythmus erfahrbar.  Atem und Blutkreislauf stehen für die Wirksamkeit der Lebensvorgänge. Plastisch-künstlerisches Denken, welches von dem Leben der Kunst erfasst wird, bildet so ein anschauliches Denken.

„…– Harmonie ist die Bedingung ihrer Tätigkeit – des Schwebens, zwischen Entgegengesetzten. [...] Aus diesem Punkt des Schwebens strömt alle Realität aus [...] , denn das Schweben [...] ist der Quell, die Mater aller Realität, die Realität selbst.“ 555  (Das philosophische Werk I, Band 2 S. 266,)

„Die Fantasie setzt die künftige Welt entw[eder] in die Höhe, oder in die Tiefe, oder in der Metempsycose, zu uns. Wir träumen von Reisen durch das Weltall – Ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht – Nach Innen geht der geheimnißvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten – die Vergangenheit und Zukunft.“ ( Das Philosophische Werk I, Band 2 , S. 416-418,)

Novalis' Begriff des Schwebens der Einbildungskraft ist Ausdruck der Harmonie und Einigkeit des Ichs mit sich. Bei Fichte ist die Einbildungskraft die Brücke von Eigenem und Fremdem, von Bewusstsein und Sein, die bloße Vermittlung unversöhnlicher Gegensätze also, die erst durch die praktische Vernunft zu einer möglichen Identität des Ichs mit sich führt. Diese zur Imagination gesteigerte Einbildungskraft beschrieb Novalis als tätige Liebe. Liebe zur Weisheit (filosophieren). Dieses tätige Vermögen realisierte er als Überschreitung der Philosophie in seinen Dichtungen und Romanen als Kunst.  Die „Blaue Blume“ am Anfang des "Heinrich von Ofterdingen" erscheint als reale Metapher des inneren Organs der imaginativen Kraft. Sie erscheint als ein „Morgenrot“ die Freiheit der schöpferischen Individualität an den Toren der Moderne, während heute schon die letzte Generation im Abendrot einer ökologisch zerstörten Erde um das Ende der Freiheit kämpft. Dies ist nicht pathetisch misszuverstehen, sondern verweist auf die durchaus existenzielle Verantwortung, welche dem Kunstunterricht zukommen könnte.

Um 1800 realisierte Novalis das Zusammenspiel von Kunst und Wissenschaft. Leben und Kunst feierten für einen kurzen Moment bis zu seinem frühen Tod den Zauber einer Vollendung. Er betrieb gleichsam „künstlerische Forschung“, wie sie dann im Kontext heutiger kulturwissenschaftlicher Diskurse beschrieben wird. Die plastische Kraft im Denkvorgang selbst, wie Beuys es für die Moderne formulierte, beginnt Novalis zu entdecken. Natur und Kunst werden in seinem magischen Idealismus zusammengeführt im künstlerischen Schaffen.[45] In der nichtthetischen Bewusstheit, dem präreflexiven absoluten Sein entdeckt er das Leben, „die Muttersfäre“, darin sich die Erfahrung des Schwebens, der frei waltenden Kraft der Imagination entwickelt. So gerät die Konstitution der Wirklichkeit, und wie sie sich im Bewusstsein vollzieht, in den Blick. Die Wirklichkeit des Schwebens als Beschreibung imaginativer Tätigkeit ähnelt der Erfahrung künstlerischer Tätigkeit.

„Aus diesem Lichtpunkt des Schwebens strömt alle Realität aus. Frei sein ist die Tendenz des ich, das Vermögen frei zu sein ist die produktive Imagination, Harmonie ist die Bedingungen ihrer Tätigkeit, des Schwebens zwischen entgegengesetzten NS Das Philosophische Werk I, Band 2 S. 266     

“und im Gleichgewichte sollte jeder mensch bleiben- denn dies ist eigentlich der Zustand der Freiheit.”

NS, Das philosophische Werk I, Band 2 S. 292

Der Lichtpunkt erscheint als ein Quell des Schwebens, aus dem die Realität emaniert. Novalis schreitet nach seinen Fichte-Studien fort zu Hemsterhuis und vor allem zu Plotins religösen Erfahrungen, die philosophisches Bewusstsein, aber auch hellfühlende künstlerische Tätigkeit zur „Schau Gottes“ führen können. Die „Schau Gottes“ wird verstanden als ein Miterleben dessen, was unendlich viel größer ist als das Ego-zentrierte Alltagsbewusstsein. Die Wirklichkeit solch übersinnlicher Erfahrung erscheint dem aufgeklärten wissenschaftlichen Bewusstsein lediglich als Provokation.

“Das willkürlichste Vorurteil ist, daß dem Menschen das Vermögen außer sich zu sein, mit Bewußtsein jenseits der Sinne zu sein, versagt sei. Der Mensch vermag in jedem Augenblicke ein übersinnliches Wesen zu sein. Ohne dies wäre er nicht Weltbürger, er wäre ein Tier. Freilich ist die Besonnenheit, Sichselbstfindung, in diesem Zustande sehr schwer, da er so unaufhörlich, so notwendig mit dem Wechsel unserer übrigen Zustände verbunden ist. Je mehr wir uns aber dieses Zustandes bewußt zu sein vermögen, desto lebendiger, mächtiger, genügender ist die Überzeugung, die daraus entsteht; der Glaube an echte Offenbarungen des Geistes. Es ist kein Schauen, Hören, Fühlen; es ist aus allen dreien zusammengesezt, mehr als alles Dreies: eine Empfindung unmittelbarer Gewißheit, eine Ansicht meines wahrhaftesten, eigensten Lebens."

NS Das philosophische Werk I, Band 2, S.421 Blütenstaub 22

4.8. Liebe als Ursprung von Imagination und künstlerischer Tätigkeit


“Unser Sein können wir nur in unserem wollen finden ...” NS Das philosophische Werk I Band 2, S.146 

"Liebe ist der Grund der Möglichkeit der Magie. Die Liebe wirkt magisch."

NS das philosophische Werk II Band 3, S. 254-255 , Nr 77 Das allgemeine Brouillon, Materialien zur Enzyklopädistik 1798/99

“Zukunftslehre Gebrauch der Körperwelt- denn Willen ist nichts, als magisches, kräftiges Denkvermögen“

NS das philosophische Werk II Band 3 S. 466, (1075). Allgemeines Broullion

Liebe fungiert dabei für Novalis als synthetische Kraft. Im produktiven und rezeptiven künstlerischen Arbeiten eröffnen sich in der Kunstpädagogik Möglichkeiten, diese Empfindung der Liebe als Atmosphäre der Freiheit erfahrbar zu machen. „Die Liebe Herrscht nicht, sie bildet“ sagte Goethe irgendwo, um den Zusammenhang von Liebe und Freiheit besprechen, benötigt es sicher eine ausführlichere Darstellung, Für den gelingenden Unterricht sind es zwei ideale Sterne, die bisweilen Orientierung geben.  Die Geburt des Ich oder dieses sich zunehmend im Laufe der Oberstufe konstituierende Ich, das Individuum, ist in seiner Freiheit durch das Prinzip der Liebe auf Hervorbringung des eigenen Selbst durch Tätigkeit angelegt. Die Entstehung des Ich kann besonders in der schöpferischen Tätigkeit des Kunstunterrichts über längere Entwicklungsphasen hin beobachtet werden. Denn die personale Beziehung durch Krisen und fortdauernde Begleitung unterstützt doch immer wieder die Ausdrucksmöglichkeiten der Bildfindungen! Fähigkeiten zu spielerischer Freiheit und übende Tätigkeit wachsen wie Baumringe und zeigen exemplarisch Entwicklungen in einer Biografie. Die Unterschiedlichkeit der Fähigkeiten jedes Einzelnen müssen dabei immer spezifische Bedingungen finden.

„Wir sollen nicht blos Menschen, wir sollen auch mehr, als Menschen seyn-Oder Mensch ist überhaupt soviel, als Universum-...“NS das philosophische Werk II Band 3, Allgemeines Brouillion S. 471,1112

"Wir sind gar nicht Ich – wir können und sollen aber Ich werden. Wir sind Keime zum Ich werden."

NS das philosophische Werk II Band 3, Allgemeines Broullion S. 314, 398  

Imagination als freie, bildschaffende Ich-Tätigkeit erscheint in den poetischen Kunstwerken des Novalis als Wirksamkeit. In seinem Magischen Idealismus entdeckt er die Kraft der Imagination als eine geistige Fähigkeit des Menschen. Sein Ordo Inversus, die Umkehrung als ein Prinzip künstlerischer Transformation, entwickelt die Theorie der Ich-Tätigkeit Fichtes weiter.  So gelangt er zu der moralischen Dimension der Gegenwärtigkeit künstlerisch praktischer Tätigkeit. Und das in der Zeit, in welcher die Erfahrung der Unendlichkeit, des Absoluten, möglich ist. Die Organbildung, welche sich in der Realisierung der schwebenden Aufmerksamkeit  vollzieht, ist als Bildung eines Wahrnehmungsorgans gedacht. Damit ist sie eine geistige Fähigkeit des Menschen. Die schwebende Aufmerksamkeit wiederum ist Quellpunkt aller Realität,

Im Kontrast zu unseren mediatisierten Lebenswelten spielt dieses Vermögen in der Kunstpädagogik eine zentrale Rolle im Sinne der Freiheitsperspektive tätiger Phantasie. Reproduktive Wissensformen werden in der Auseinandersetzung mit Bildender Kunst transformiert und ergänzt durch das Erleben gestaltbildender Kräfte, sozusagen sinnlicher Erkenntnisprozesse selbst.  Diese Aisthesis als sinnliche Erkenntnis kann neben der reflexiven Erkenntnis durch die Beschäftigung mit Kunst befördert werden.

Der unterrichtspraktische Teil sollte anhand von Schülerarbeiten zeigen, wie sich diese Fähigkeiten keimhaft im Unterricht entwickeln. Dabei ging es mir nicht vordergründig um eine Interpretationen der Werke der Schüler, sondern um die Visualisierung der Bildungsprozesse in Form von spezifischen bildhaften Kategorien, in denen sich Keime „Ich-hafter“ Aufmerksamkeit spiegeln. Es entsteht so ein Archiv von Relikten aus dem Unterricht. Diese aktive Konstruktion des Archivs bestehend aus Relikten aus dem Unterricht erzeugt ein hybrides Forschungsfeld, zwischen Wissenschaft und Kunst, welches ich im Eintrag zum Register mit Bezug auf Künstlerische Forschung dann ausführen möchte.[46]



























[1] Jürgen Stolzenberg, Lars-Thade Ulrichs, Bildung als Kunst. Fichte, Schiller, Humboldt, Nietzsche, Berlin (de Gruyter) 2010

[2] Ebd., T. van Zantwijk, S.69-86

[3] Sabine Wettig, Imagination im Erkenntnisprozess, Bielefeld (Transkript) 2009. Edmund Husserl, Phantasie und Bildbewusstsein, Hamburg, (Meiner) 2006; Emanuel Alloa, Das durchscheinende Bild., Berlin (Diaphanes) 2011; Erika Fischer-Lichte, Ästhetik des Performativen,  Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2004

[4] Dieter Henrich, im Sammelband Odo Marquard (Hrsg.), Identität, München (Fink) 1979)  S. 133

[5] Carl-Peter Buschkühle,, Die Welt als Spiel, Oberhausen (Athena) 2010; ders., Wärmezeit. Oberhausen (Athena) 2021; ders., Künstlerische Bildung, Oberhausen (Athena) 2017. Alle drei Studien von Buschkühle zur künstlerischen Bildung sind hilfreich zur konkreten Vorbereitung des Unterrichts, weil sie didaktische Prozesse reflektieren, aber auch Einführungen geben in das ästhetische Denken.

[6] Iris Laner Sehen in Gemeinschaft - über Wissen und Erkenntnisse im Zuge gemeinschaftlichen ästhetischen Erfahrens.       

Kunstpädagogische Positionen. Band 54 (2021), Sabisch, A. Meyer, T., Lüber, H. (Hrsg.)

Iris Laner, Subjektivierung durch Einfühlung und Nacherleben. Im Sammelband „Subjektivierung ,Erziehungswissenschaftliche Theorieperspektiven“, Norbert Ricken, Rita Casale, Christiane Thompson (Hrsg.)

Iris Laner, Ästhetische Bildung zur Einführung, Hamburg (Junius) 2018

[7] Jörg Zirfas, Benjamin Jörissen, (Hrsg.) Phänomenologien der Identität. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007

Jörg Zirfas, Benjamin Jörissen, (Hrsg.) Schlüsselwerke der Identitätsforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2010

[8] Carl-Peter Buschkühle, Wärmezeit. Oberhausen (Athena) 2021

[9] Carl-Peter Buschkühle, Die Welt als Spiel, Band 2, Athena (Oberhausen) 2. Auflage 2010

[10] Denken in Konstellationen ermöglicht eine Innensicht auf das, was einem festgelegten System der Begriffe durch die Außenansicht nicht möglich ist. Dies Denken in Konstellationen ist ursprünglich in der Philosophie Walter Benjamins zu verorten. Der Begriff der Konstellation wird bei ihm aus der Anordnung der Sterne gebildet. Aus dem Begriff der Konstellation entsteht sein Dialektisches Bild. „Nicht so ist es, daß das Vergangene sein Licht auf das Gegenwärtige oder das Gegenwärtige sein Licht auf das Vergangene wirft, sondern Bild ist dasjenige, worin das Gewesene mit dem Jetzt blitzhaft zu einer Konstellation zusammentritt.“ Walter Benjamin. Den Begriff der Konstellation entwickelt Benjamin in unmittelbarer Auseinandersetzung aus dem Denken Goethes im „Ursprung des deutschen Trauerspiels“. (Erkenntniskritische Vorrede). S. 228-229, Walter Benjamin Ausgewählte Werke. Band 1, WBG, Sonderausgabe 2015

[11] Iris Laner, Subjektivierung durch Einfühlung und Nacherleben. In dem Sammelband „Subjektivierung, Erziehungswissenschaftliche Theorieperspektiven“, Norbert Ricken, Rita Casale, Christiane Thompson (Hrsg.)

[12] Iris Laner, Subjektivierung durch Einfühlung und Nacherleben. In dem Sammelband „Subjektivierung, Erziehungswissenschaftliche Theorieperspektiven“, Norbert Ricken, Rita Casale, Christiane Thompson (Hrsg.) S.1

[13]Iris laner, „Sehen in Gemeinschaft“ über Wissen und Erkenntnisse im Zuge gemeinschaftlichen ästhetischen Erfahrens.    

Kunstpädagogische Positionen. Band 54 (2021), Sabisch, A. Meyer, T., Lüber, H. (Hrsg.) S.10

[14] Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, I.Transzendentale Elementarlehre, Der transzendentalen Elementarlehre, Erster Teil Die transzendentale Ästhetik , §1S. 516 sowie S.982  “Es liegt (...) eine verfehlte Hoffnung zum Grunde, welche der wortreiche Analyst Baumgarten fasste, die kritische Beurteilung des Schönen unter Vernunftprinzipien zu bringen, und die Regeln derselben zur Wissenschaft zu erheben. Allein diese Bemühung ist vergeblich.“ . Kant bestritt hier die Ansichten von Baumgarten zur Ästhetik. Das Ästhetische fokussiert im Feld der Kunst, nach Baumgarten, eine sinnliche Form der wissenschaftlichen Erkenntnis. Kant stritt die Berechtigung dieser Form von Erkenntnis ab. Die Ästhetik zur Wissenschaft zu zählen hat seit Kant also einen bitteren Beigeschmack, was sozusagen „gesicherte“ Erkenntnis betrifft Iris Laner, Subjektivierung durch Einfühlung und Nacherleben. In dem Sammelband „Subjektivierung, Erziehungswissenschaftliche Theorieperspektiven“, Norbert Ricken, Rita Casale, Christiane Thompson (Hrsg.)

[15] Iris laner, „Sehen in Gemeinschaft“ über Wissen und Erkenntnisse im Zuge gemeinschaftlichen ästhetischen Erfahrens.     

Kunstpädagogische Positionen. Band 54 (2021), Sabisch, A. Meyer, T., Lüber, H. (Hrsg.)  S.17

[16]Ebend.  S.10

[17] Ebend. S. 11

[18] Iris Laner, Ästhetische Bildung zur Einführung, Hamburg (Junius) 2018, S. 161

[19] Christian Rittelmeyer, Bildende Wirkungen ästhetischer Erfahrungen, Belz Juventa,2016

Christian Rittelmeyer, Warum und Wozu ästhetische Bildung? Über Transferwirkungen künstlerischer Tätigkeiten. Athena, 2010.

[20] Jörg Zirfas,, Benjamin Jörissen, ,(Hrsg.), Phänomenologien der Identität. human-, sozial- und kulturwissenschaftliche Analysen, Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2007; diess. Schlüsselwerke der Identitätsforschung. Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2010.

[21] W. Welsch, Ästhetisches Denken, ‎ Reclam, 1990.

[22] Ebd., S. 175

[23] Ebd., S. 171

[24] Novalis Schriften. Gesammelte Werke Friedrich von Hardenbergs, hg.v. Paul Kluckhorn und Richard Samuel, Stuttgart 1960ff./1977ff. Die Texte von Novalis werden nach dieser Ausgabe zitiert mit Band-, Seitenzahl und Nummer der Fragmente und Aufzeichnungen.  

Bd. II: Das philosophische Werk I. Hg. von Richard Samuel, in Zsarb. mit Hans-Joachim Mähl und Gerhard Schulz. Stuttgart 1965. 3., nach d. Handschr. erg., erw. und verb. Aufl. 1981. Bd. III: Das philosophische Werk II. Hg. von Richard Samuel, in Zsarb. mit Hans-Joachim Mähl and Gerhard Schulz. Stuttgart 1968. 3., von den Hgg. durchges. und rev. Aufl.

[25]„In dem Moment tritt ein reales Gefühl der Spaltung ein, in dem die den Prozess beobachtende Person allwissend zu sein scheint und die zeichnende Person dumm, da sie es nicht hinzukriegen scheint, und beide sind frustriert, dass der jeweils andere nicht verständnisvoller ist und sich auf das einstellen kann, was ihm gezeigt wird.“  William Kentridge: „Auf den Füßen denken. Umherwandern im Studio“ 2013. In: Wulf Herzogenrath, Anne McIlleron und Angela Breidbach (Hrsg.): NO IT IS William Kentridge, Martin Gropius Bau, Ausstellungskatalog, Berlin, Köln (Walther König) 2016, S. 25Iris Laner, Subjektivierung durch Einfühlung und Nacherleben. In dem Sammelband „Subjektivierung, Erziehungswissenschaftliche Theorieperspektiven“, Norbert Ricken, Rita Casale, Christiane Thompson (Hrsg.)

[26] In Dieter Mersch, Sylvia Sasse, Sandro Zanetti (Hrsg.) Ästhetische Theorie. Fabienne Liptay, Praktische Epistemologie: William Kentridge. S. 159

[27] Dan Zahavi, Subjectivity_and_Selfhood, Cambridge, London, (The MIT Press ) 2005 Zitate auf S. 125 und S. 146

[28] „...die Vorstellung vom Selbst ist entscheidend für ein richtiges Verständnis des Bewusstseins

[29] „Im Gegensatz zu dem, was manche Selbstskeptiker behaupten, muss man sich das Selbst nicht als etwas vorstellen, das von den Erfahrungen abweicht oder darübersteht, noch muss man sich das Verhältnis von Selbst und Erfahrung als ein äußeres Verhältnis von Eigentum vorstellen. Es ist auch möglich, dieses vorreflektierende Gefühl der Zartheit mit einem minimalen oder Kerngefühl des Selbst zu identifizieren.“

[30] Mit anderen Worten, die Idee ist es, ein erfahrungsbezogenes Selbstgefühl mit der besonderen erstpersönlichen Gegebenheit zu verbinden, die unser erfahrungsbezogenes Leben kennzeichnet. Es ist diese erste persönliche Gabe, die die Selbstheit oder Unschärfe der Erfahrung ausmacht. Das Selbst ist also nicht etwas, das dem Strom des Bewusstseins entgegensteht, sondern vielmehr in das bewusste Leben eingetaucht ist; es ist ein integraler Bestandteil seiner Struktur.



[31] Boris Groys Einführung in die Phänomenologie des Geistes von Hegel, Vorlesung an ZKM Karlsruhe,

[32] Sattelzeit ist ein von Reinhart Koselleck in den 1970er Jahren geprägter Begriff zur Bezeichnung einer Übergangs- oder Schwellenzeit zwischen Früher Neuzeit und Moderne. „Sattel“ (gemeint ist entweder ein Bergsattel oder ein Reitsattel) steht metaphorisch für einen allmählichen Übergang. (Einfügung vom Lektor Ulrich Kaiser)

[33] https://groys.hfg-karlsruhe.de/groys_mp3s/hegel_ph_d_g_64kb/groys110505.mp3  ab ca. 30:30

[34] Sibylle Peters, Jörg Schäfer (Hrsg.), Intellektuale Anschaunung. Figurationen von Evidenz zwischen Kunst und Wissen, Bielefeld (Transkript) 2006. Intellektuale Anschauung“ wird mit einem sehr individualisierten Begriffsverständnis für bestimmte Wissenszweige unter der Figur der Evidenz im aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs behandelt. Wie Wissen unter bestimmten Bedingungen vermittelt wird, das verbinden die Autoren in dem erwähnten Band mit dem Begriff von Kant, der dieses Vermögen bekanntlich leugnete. Goethe, Fichte und Novalis beteiligten sich kontrovers gegenüber Kant an der Debatte zur intellektualen Anschauung um 1800.

[35] Florian Roder, Menschwerdung des Menschen, Stuttgart (Verlag Johannes M. Mayer & Co) 1997, S. 53-73

[36] Manfred Frank, Das Problem "Zeit" in der deutschen Romantik : Zeitbewußtsein und Bewußtsein von Zeitlichkeit in der frühromantischen Philosophie und in Tiecks Dichtung, München (Winkler) 1972, S. 151

[37] Winfried Menninghaus, Unendliche Verdopplung. Die Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1987, S. 86.

[38] Manfred Frank, Das Problem der Zeit,...  S. 153

[39] Ebd., S. 154

[40] Ebd. S. 152

[41] Jahrestagung des Zentrums für Klassikforschung, Ordo inversus. Formen und Funktionen einer Denkfigur um 1800, Weimar 2015



[42]Walter Schmoller, Die Behandlung von Gegensatzstrukturen bei Novalis und Nietzsche, Diss. Tübingen 2009, S.36, digitale Quelle: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/46382

[43] Ebd., S. 37

[44] Ebd., S.31 f.

[45] Ein anderes Beispiel sozusagen früher künstlerischer Forschung dazu, wie Polaritäten in einem wissenschaftlich künstlerischen Anschauen verbunden werden, zeigt Goethe in seiner Farbenlehre. Goethe praktizierte in seiner Farbenlehre ein solches phänomenologisch sinnliches Denken in der Polarität zwischen Licht und Finsternis. Die Polarität der Lichtfarbe Gelb und Blau als Farbe nah an der Finsternis zeigen die Steigerung und Vermittlung im Purpur –Rot. Das Denken in Farben spiegelt unmittelbar die Verbindung zur Welt der Gefühle. Goethe systematisiert im "sinnlich-sittlichen" Teil seiner Farbenlehre eine anschauliche Darstellung, wie das Erkennen sich in der Wahrnehmung der Farbenwelt als Gewahrwerden der Idee artikuliert.
Hierin wirkt die freie Einbildungskraft, welche die Unendlichkeit Gottes in der dynamischen dialektischen Bewegung mit dem inneren Auge erblickt, und erzeugt unmittelbare Evidenz in der intellektualen Anschauung.

[46] Dorota, Sajeweska, Nekroperformanz. Theorie als Rest, in: Dieter Mersch, Sylvia Sasse, Sandro Zanetti, Ästhetische Theorie, Denkt Kunst , Zürich (Diaphanes) 2019, S. 137