Embodiment
Hinter deinen Gedanken und Gefühlen steht ein mächtiger Gebieter; ein unbekannter Weiser - der heißt Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er. Nietzsche
Zunächst hieß der Titel meiner 2023 veröffentlichten Studie „Verkörperung“, der jetzige Titel „Mit dem Leben verbinden“ geht auf eine Arbeitsbesprechung mit den Verantwortlichen im Verlag zurück. Embodiment als Prozess der Verkörperung durchzieht alle Cluster. Folgendes Register zu Cluster II liefert Aspekte aus meiner Recherche. Ohne die, im Hintergrund wirkenden, Fragen sieht man die Beispiele aus den Praxisfeldern nur aus einer Perspektive, durch den erweiterten Horizont der Theorie erscheinen die beschriebenen bildhaften Prozesse in einer anderen Weise. Praxis und Theorie sind in der Kunst zwei gleichberechtigte Quellen. Es handelt sich hierbei weniger um eine Aneinanderreihung willkürlicher Zitate, als vielmehr um den Versuch, Anregungen für den Unterricht zu erarbeiten. Um das Rätsel der Differenz von Leib und Körper als Grundlage unserer Existenz zu erfassen, reicht ein Blickwinkel kaum aus, denn gerade die unterschiedlichen Zugänge lassen die Multiperspektivität einer Konstellation entstehen. Meine Ausführungen dokumentieren annähernd chronologisch die verschiedenen Suchbewegungen, die ich auf der Landkarte der „Kunstphilosophie“ unternommen habe. Gernot Böhmes Studie zur Leibphilosophie[1] von 2003 ermöglichte einen guten Einstieg in das Thema Körper und Leib. Ernst -Michael Kranichs Anthropologie „Der innere Mensch und sein Leib“ [2] von 2003, sowie der 2012 erschienene Band Leiblichkeit[3], welcher verschiedene Autoren versammelt und die noch kaum ausgeloteten Tiefendimensionen der inzwischen bis 2024 stetig gewachsenen Forschung zur Bewegung des Embodiment ansatzweise auffächert, dienten der Vertiefung. Embodiment[4] knüpft unmittelbar an das Feld der Anthropologie an, in dem sich die vielfältig diskutierte Frage nach dem Menschenbild stellt. Welches Menschenbild den Fragestellungen zugrunde liegt, bestimmt die Intention der Darstellung. Auch die Phänomenologie weist in sich selbst wiederum verschiedene Facetten auf.
Aus der Perspektive künstlerischer Forschung richtet sich mein Interesse praxisrelevant auf ästhetische Bildungsprozesse im Jugendalter. Oben genannte Studien beziehen sich oft phänomenologisch auf Maurice Merlau- Ponty und Edmund Husserl. Aus der Vielzahl von Strömungen kommentiere ich fragmentarisch Zitate im Hinblick auf im Buch erwähnte Literatur.
Als Beispiel hierzu ein Forschungsansatz von Krois, „Die Universalität der Pathosformeln. Der Leib als Symbolmedium“[5], auf welchen im Buch im Zusammenhang mit einer Analyse von Körpergesten in einer Performance der 11. Klasse „Mit dem Leben Verbinden“ auf S.71 verwiesen worden ist.
Krois untersucht die Zeichensprache des Körpers anhand von Warburgs Pathosformeln. Mit „Pathos“ und „Formel“ wollte Warburg das Ergebnis einer Transformation bezeichnen, in der etwas individuell Ereignishaftes - das Pathos - in etwas Objektives und Dauerhaftes verwandelt wird. (S. 77-78)
So kann z.B. eine bildliche Darstellung des Todes (wie Helden sich mit erhobener Hand schützen) zur kopierbaren Formel erstarren. „Die Eigennamen „Orpheus“ und „Pentheus“ verweisen als sprachliche Bezeichnungen auf Beziehungen zu bestimmten Geschichten. Die Pathosformel ist das bildhafte Element, das diese Geschichten verbindet“. So entstehen gewissermaßen „Urworte der Zeichensprache".
Krois versucht Warburgs Pathosformeln durch einen kritischen Vergleich mit den anthropologischen Untersuchungen von Lévi-Strauss zu verdeutlichen. Lévi-Strauss kommt bei der Untersuchung der Formen und Gesten der Masken nordamerikanischer indigener Völker auf der Grundlage seiner strukturalistischen binären Zeichentheorie zu dem Schluss, dass sich Rituale der wissenschaftlichen Erkenntnis entziehen. Der Ritus hat also keine vorsprachliche Relevanz wie bei Warburg. Der Vergleich mit Warburgs Pathosformeln zeigt den Unterschied zwischen einer genuin bildhaften Auffassung und der rein sprachlich strukturalistischen Interpretation von Lévi-Strauss, die auf rationale Erfassbarkeit im Sinne einer Wissenschaft abzielt. Warburg interpretiert die Pathosformeln als eine Gebärdensprache des Körpers, die in verschiedenen Formen auftreten kann. Warburg entdeckte, dass eine Blütenträgerin bei Ghirlandaio in der Renaissance eine ähnliche Formensprache hat wie eine Victoria auf einem römischen Triumphbogen.
Oder die Körpergeste einer Mänade findet sich auf einem christlichen Passionsbild in der aufgewühlten Emotionalität einer Frau unter der Kreuzigungsszene wieder. Diese Wiederkehr einer bestimmten und ähnlichen Gestensprache des Körpers kann in verschiedenen Epochen ganz unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Krois kritisiert Warburg dafür, dass dieser auf der Grundlage einer linguistischen Untersuchung von der Syntax verschiedener Wortgebräuche auf die Symbolsprache der Bilder schließt, während Krois diese genuin bildliche Sprache vom Sprachmodell abzugrenzen versucht. Krois schließt seinen Aufsatz mit der Forderung nach einer neuen Ikonologie der Bilder.[6]
Die im Buch „Mit dem Leben verbinden“ angeführten Fotografien einer Performance der Schülerin aus Klasse 11 zeigen solch emotionale Körpergebärden, die zu einer bestimmten Figur stilisiert worden sind. Die Schülerin zeichnete Bewegungen, welche die innere Körperempfindung verdichtet hin zu einer Ausdruckslinie abstrahiert darstellen sollten.
Waldenfels Entwurf einer leibhaftigen Phänomenologie wie in seiner angeführten Studie „Das Leibliche Selbst“[7] sowie sein Beitrag im Band zur Intuition. Waldenfels knüpft den Begriff der Intuition[8] in seinem Beitrag an das Riechen und Spüren. Dieses „Spüren“ als erweiterte Form der ästhetischen Wahrnehmung steht ebenso für eine Verbindung zum Lebenssinn wie Gendlins Focusing[9] und Goebels Sinnessymbiontik.[10]. Hermann Schmitz und Thomas Fuchs, die umfassende anthropologische Studien zur Befindlichkeit des leiblichen Selbst vorgelegt haben, werden im Zusammenhang mit dem Lebenssinn zumindest andeutungsweise erwähnt. Diese Hinweise zielen darauf ab, Steiners Forschungen zur Sinnesorganisation zu berücksichtigen und damit einen Zugang zu gewinnen, der die „Leibphilosophie“ Rudolf Steiners als künstlerisch-wissenschaftlichen Ansatz rehabilitiert. Keine ideologische Apologie, sondern eine Orientierung an einem spezifischen trichotomischen Menschenbild. Steiners Erkenntnisse werden aus wissenschaftlicher Sicht meist ignoriert, weil der Wissenschaftsbegriff der Anthroposophie zu wenig transparent erscheint[11]. Meine kunstpädagogische Tätigkeit gründet sich aber auf Steiners Darstellungen zur Sinneslehre, die er Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Anthropologie in Form einer Anthroposophie[12] dargestellt hat. Auch wenn in der postmodernen und dekonstruktivistischen Philosophie anthropozentrische Sichtweisen zunehmend kritisiert werden[13], bleibt der frühe aristotelisch geprägte Ansatz der Sinneslehre Steiners zu einer „erweiterten Wahrnehmung“ für ästhetische Fragen fruchtbar. Wahrnehmung anhand von Aristoteles „Für diese Dinge braucht es Wahrnehmung und diese Wahrnehmung ist Geist.“ beziehe ich hier anhand der Begrifflichkeit des Embodiment für ästhetische Fragen auf die Beobachtung der Organisation unserer Sinne.
Insofern steht folgende Frage im Hintergrund: Können die Darstellungen Rudolf Steiners im heutigen Wissenschaftsverständnis kritisch hinterfragt und zeitgemäß rezipiert werden? Inwieweit ist eine Vermittlung des waldorfpädagogischen Menschenbildes möglich?
In welcher Sprache können die, von Steiner oft nur verbal in Vorträgen dargestellten, Gedanken mit den im heutigen wissenschaftlichen Diskurs verwendeten Begriffen in einen Dialog gebracht werden?
Das verwirrende Spektrum dessen, was als Forschung zum Embodiment bis zum Jahre 2024 oszilliert, wird in diesen Ausführungen nur gestreift, insofern es ästhetische Erfahrungen besonders als Bildrezeption in der Kunstpädagogik betrifft. Ein produktiver Umgang mit der Komplexität dieser kaum eindeutig definierbaren Kategorie „Embodiment“[14], gerade in der Auseinandersetzung mit jungen Menschen im kunstpädagogischen Kontext, kann nur fröhlich Scheitern, wenn körperlich leibliche Erfahrungen „meditativ“ das heißt als eine kontemplative Vertiefung der Aufmerksamkeit bestimmter Sinneserfahrungen berücksichtigt und im künstlerischen Forschen auf eine fragende offene Haltung hingearbeitet werden kann. Kunst forscht anders, (Link künstlerische Forschung) Gottfried Boehm forderte anhand der Dimension Bild, worauf hier im Zusammenhang mit der Kunst der Fokus gerichtet bleibt, im Kontext des „Iconic turn“ einen notwendigen Paradigmenwechsel:
„Bildforschung verändert auch unser Verständnis von Sprache, Gestik, Mimus, Klang oder Tanz, sie scheint geeignet, das europäische Konzept des Logos zu erweitern und zu transformieren. Zumal die digitalen Technologien neue Wege der Produktion und Kommunikation eröffnet haben, deren Einfluss auf das gesamte System der Gesellschaft und der Kultur kaum zu übersehen ist. Die Wende der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit hin zum Bild löst disziplinäre und transfakultäre Anstöße aus. Sie relativiert die scheinbar fest gefügten Frontlinien zwischen den zwei oder drei Kulturen, der Geisteswissenschaften, der Naturwissenschaft samt ihren technischen Anwendungen und der Sozialwissenschaft. Wenn die Rede von einer Selbstisolierung der Geisteswissenschaften je berechtigt war, unter den Vorzeichen des Bildes ist sie es nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Sie sind gefragt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bilderfrage als ein Problem des gesamten Wissenssystems, formuliert, erforscht und angewendet werden kann.“[15]
Diese phänomenologisch bildorientierte Anschauung des Bildaktes wird von Forschern, die eher semiotisch geprägt sind, gar als animistisch und Bildfetischismus kritisiert, weil sie fürchten dem Bildwerk eine magische Wirkung zu schreiben zu müssen.[16]
Hinter deinen Gedanken und Gefühlen steht ein mächtiger Gebieter; ein unbekannter Weiser - der heißt Selbst. In deinem Leibe wohnt er, dein Leib ist er. Nietzsche
Zunächst hieß der Titel meiner 2023 veröffentlichten Studie „Verkörperung“, der jetzige Titel „Mit dem Leben verbinden“ geht auf eine Arbeitsbesprechung mit den Verantwortlichen im Verlag zurück. Embodiment als Prozess der Verkörperung durchzieht alle Cluster. Folgendes Register zu Cluster II liefert Aspekte aus meiner Recherche. Ohne die, im Hintergrund wirkenden, Fragen sieht man die Beispiele aus den Praxisfeldern nur aus einer Perspektive, durch den erweiterten Horizont der Theorie erscheinen die beschriebenen bildhaften Prozesse in einer anderen Weise. Praxis und Theorie sind in der Kunst zwei gleichberechtigte Quellen. Es handelt sich hierbei weniger um eine Aneinanderreihung willkürlicher Zitate, als vielmehr um den Versuch, Anregungen für den Unterricht zu erarbeiten. Um das Rätsel der Differenz von Leib und Körper als Grundlage unserer Existenz zu erfassen, reicht ein Blickwinkel kaum aus, denn gerade die unterschiedlichen Zugänge lassen die Multiperspektivität einer Konstellation entstehen. Meine Ausführungen dokumentieren annähernd chronologisch die verschiedenen Suchbewegungen, die ich auf der Landkarte der „Kunstphilosophie“ unternommen habe. Gernot Böhmes Studie zur Leibphilosophie[1] von 2003 ermöglichte einen guten Einstieg in das Thema Körper und Leib. Ernst -Michael Kranichs Anthropologie „Der innere Mensch und sein Leib“ [2] von 2003, sowie der 2012 erschienene Band Leiblichkeit[3], welcher verschiedene Autoren versammelt und die noch kaum ausgeloteten Tiefendimensionen der inzwischen bis 2024 stetig gewachsenen Forschung zur Bewegung des Embodiment ansatzweise auffächert, dienten der Vertiefung. Embodiment[4] knüpft unmittelbar an das Feld der Anthropologie an, in dem sich die vielfältig diskutierte Frage nach dem Menschenbild stellt. Welches Menschenbild den Fragestellungen zugrunde liegt, bestimmt die Intention der Darstellung. Auch die Phänomenologie weist in sich selbst wiederum verschiedene Facetten auf.
Aus der Perspektive künstlerischer Forschung richtet sich mein Interesse praxisrelevant auf ästhetische Bildungsprozesse im Jugendalter. Oben genannte Studien beziehen sich oft phänomenologisch auf Maurice Merlau- Ponty und Edmund Husserl. Aus der Vielzahl von Strömungen kommentiere ich fragmentarisch Zitate im Hinblick auf im Buch erwähnte Literatur.
Als Beispiel hierzu ein Forschungsansatz von Krois, „Die Universalität der Pathosformeln. Der Leib als Symbolmedium“[5], auf welchen im Buch im Zusammenhang mit einer Analyse von Körpergesten in einer Performance der 11. Klasse „Mit dem Leben Verbinden“ auf S.71 verwiesen worden ist.
Krois untersucht die Zeichensprache des Körpers anhand von Warburgs Pathosformeln. Mit „Pathos“ und „Formel“ wollte Warburg das Ergebnis einer Transformation bezeichnen, in der etwas individuell Ereignishaftes - das Pathos - in etwas Objektives und Dauerhaftes verwandelt wird. (S. 77-78)
So kann z.B. eine bildliche Darstellung des Todes (wie Helden sich mit erhobener Hand schützen) zur kopierbaren Formel erstarren. „Die Eigennamen „Orpheus“ und „Pentheus“ verweisen als sprachliche Bezeichnungen auf Beziehungen zu bestimmten Geschichten. Die Pathosformel ist das bildhafte Element, das diese Geschichten verbindet“. So entstehen gewissermaßen „Urworte der Zeichensprache".
Krois versucht Warburgs Pathosformeln durch einen kritischen Vergleich mit den anthropologischen Untersuchungen von Lévi-Strauss zu verdeutlichen. Lévi-Strauss kommt bei der Untersuchung der Formen und Gesten der Masken nordamerikanischer indigener Völker auf der Grundlage seiner strukturalistischen binären Zeichentheorie zu dem Schluss, dass sich Rituale der wissenschaftlichen Erkenntnis entziehen. Der Ritus hat also keine vorsprachliche Relevanz wie bei Warburg. Der Vergleich mit Warburgs Pathosformeln zeigt den Unterschied zwischen einer genuin bildhaften Auffassung und der rein sprachlich strukturalistischen Interpretation von Lévi-Strauss, die auf rationale Erfassbarkeit im Sinne einer Wissenschaft abzielt. Warburg interpretiert die Pathosformeln als eine Gebärdensprache des Körpers, die in verschiedenen Formen auftreten kann. Warburg entdeckte, dass eine Blütenträgerin bei Ghirlandaio in der Renaissance eine ähnliche Formensprache hat wie eine Victoria auf einem römischen Triumphbogen.
Oder die Körpergeste einer Mänade findet sich auf einem christlichen Passionsbild in der aufgewühlten Emotionalität einer Frau unter der Kreuzigungsszene wieder. Diese Wiederkehr einer bestimmten und ähnlichen Gestensprache des Körpers kann in verschiedenen Epochen ganz unterschiedliche Bedeutungen annehmen. Krois kritisiert Warburg dafür, dass dieser auf der Grundlage einer linguistischen Untersuchung von der Syntax verschiedener Wortgebräuche auf die Symbolsprache der Bilder schließt, während Krois diese genuin bildliche Sprache vom Sprachmodell abzugrenzen versucht. Krois schließt seinen Aufsatz mit der Forderung nach einer neuen Ikonologie der Bilder.[6]
Die im Buch „Mit dem Leben verbinden“ angeführten Fotografien einer Performance der Schülerin aus Klasse 11 zeigen solch emotionale Körpergebärden, die zu einer bestimmten Figur stilisiert worden sind. Die Schülerin zeichnete Bewegungen, welche die innere Körperempfindung verdichtet hin zu einer Ausdruckslinie abstrahiert darstellen sollten.
Waldenfels Entwurf einer leibhaftigen Phänomenologie wie in seiner angeführten Studie „Das Leibliche Selbst“[7] sowie sein Beitrag im Band zur Intuition. Waldenfels knüpft den Begriff der Intuition[8] in seinem Beitrag an das Riechen und Spüren. Dieses „Spüren“ als erweiterte Form der ästhetischen Wahrnehmung steht ebenso für eine Verbindung zum Lebenssinn wie Gendlins Focusing[9] und Goebels Sinnessymbiontik.[10]. Hermann Schmitz und Thomas Fuchs, die umfassende anthropologische Studien zur Befindlichkeit des leiblichen Selbst vorgelegt haben, werden im Zusammenhang mit dem Lebenssinn zumindest andeutungsweise erwähnt. Diese Hinweise zielen darauf ab, Steiners Forschungen zur Sinnesorganisation zu berücksichtigen und damit einen Zugang zu gewinnen, der die „Leibphilosophie“ Rudolf Steiners als künstlerisch-wissenschaftlichen Ansatz rehabilitiert. Keine ideologische Apologie, sondern eine Orientierung an einem spezifischen trichotomischen Menschenbild. Steiners Erkenntnisse werden aus wissenschaftlicher Sicht meist ignoriert, weil der Wissenschaftsbegriff der Anthroposophie zu wenig transparent erscheint[11]. Meine kunstpädagogische Tätigkeit gründet sich aber auf Steiners Darstellungen zur Sinneslehre, die er Anfang des 20. Jahrhunderts als eine Anthropologie in Form einer Anthroposophie[12] dargestellt hat. Auch wenn in der postmodernen und dekonstruktivistischen Philosophie anthropozentrische Sichtweisen zunehmend kritisiert werden[13], bleibt der frühe aristotelisch geprägte Ansatz der Sinneslehre Steiners zu einer „erweiterten Wahrnehmung“ für ästhetische Fragen fruchtbar. Wahrnehmung anhand von Aristoteles „Für diese Dinge braucht es Wahrnehmung und diese Wahrnehmung ist Geist.“ beziehe ich hier anhand der Begrifflichkeit des Embodiment für ästhetische Fragen auf die Beobachtung der Organisation unserer Sinne.
Insofern steht folgende Frage im Hintergrund: Können die Darstellungen Rudolf Steiners im heutigen Wissenschaftsverständnis kritisch hinterfragt und zeitgemäß rezipiert werden? Inwieweit ist eine Vermittlung des waldorfpädagogischen Menschenbildes möglich?
In welcher Sprache können die, von Steiner oft nur verbal in Vorträgen dargestellten, Gedanken mit den im heutigen wissenschaftlichen Diskurs verwendeten Begriffen in einen Dialog gebracht werden?
Das verwirrende Spektrum dessen, was als Forschung zum Embodiment bis zum Jahre 2024 oszilliert, wird in diesen Ausführungen nur gestreift, insofern es ästhetische Erfahrungen besonders als Bildrezeption in der Kunstpädagogik betrifft. Ein produktiver Umgang mit der Komplexität dieser kaum eindeutig definierbaren Kategorie „Embodiment“[14], gerade in der Auseinandersetzung mit jungen Menschen im kunstpädagogischen Kontext, kann nur fröhlich Scheitern, wenn körperlich leibliche Erfahrungen „meditativ“ das heißt als eine kontemplative Vertiefung der Aufmerksamkeit bestimmter Sinneserfahrungen berücksichtigt und im künstlerischen Forschen auf eine fragende offene Haltung hingearbeitet werden kann. Kunst forscht anders, (Link künstlerische Forschung) Gottfried Boehm forderte anhand der Dimension Bild, worauf hier im Zusammenhang mit der Kunst der Fokus gerichtet bleibt, im Kontext des „Iconic turn“ einen notwendigen Paradigmenwechsel:
„Bildforschung verändert auch unser Verständnis von Sprache, Gestik, Mimus, Klang oder Tanz, sie scheint geeignet, das europäische Konzept des Logos zu erweitern und zu transformieren. Zumal die digitalen Technologien neue Wege der Produktion und Kommunikation eröffnet haben, deren Einfluss auf das gesamte System der Gesellschaft und der Kultur kaum zu übersehen ist. Die Wende der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit hin zum Bild löst disziplinäre und transfakultäre Anstöße aus. Sie relativiert die scheinbar fest gefügten Frontlinien zwischen den zwei oder drei Kulturen, der Geisteswissenschaften, der Naturwissenschaft samt ihren technischen Anwendungen und der Sozialwissenschaft. Wenn die Rede von einer Selbstisolierung der Geisteswissenschaften je berechtigt war, unter den Vorzeichen des Bildes ist sie es nicht mehr. Ganz im Gegenteil: Sie sind gefragt, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Bilderfrage als ein Problem des gesamten Wissenssystems, formuliert, erforscht und angewendet werden kann.“[15]
Diese phänomenologisch bildorientierte Anschauung des Bildaktes wird von Forschern, die eher semiotisch geprägt sind, gar als animistisch und Bildfetischismus kritisiert, weil sie fürchten dem Bildwerk eine magische Wirkung zu schreiben zu müssen.[16]
Um Embodiment, die körperliche Dimension ästhetischer Erfahrung, als ein kohärentes kontemplativ - meditatives Bewusstseins im Zusammenhang mit einer introspektiven phänomenologischen Bild-Forschung zu schildern, wurde in meinem Buch „Mit dem Leben verbinden“ wiederholt auf den Lebenssinn verwiesen. Steiner berücksichtigt diesen als Sinnesorgan. Eugene Gendlin als Vertreter der Methode des Fokussing dient als Referent, weil er den, im Buch oft erwähnten, Felt Sense aus Sicht der Psychotherapie konkretisiert hat. Als leiblich spürendes Erleben erschließt der Felt Sense introspektiv Erfahrungsmöglichkeiten, die gerade für Transformationsprozesse durch ästhetisches Erleben im pädagogischen Alltag relevant sind. Ebenso beruft sich die erwähnte Sinnessymbiontik von Thomas Göbel auf ein vertieftes Verständnis der ästhetischen Erfahrungen durch die Darstellung des Zusammenklangs verschiedener Sinneserfahrungen. Diese schon Anfang der 80-ziger Jahre entstandene Studie thematisiert die Überschneidung der Sinnesfelder für ästhetische Erfahrungen. Der Fungierende Leib von Husserl und dessen Darstellung bei Merlau-Ponty und Hermann Schmitz in seinen Studien zum spürenden Leib umkreisen in ähnlicher Weise einen Horizont, der vom inneren Erleben des Leibes ausgeht und nicht den kognitiv begrifflichen Definitionen in Form sprachlicher Artikulation den Vorrang gibt. Rezeptive wie produktive ästhetische Erfahrungen im Umgang mit dem Bild in unserem Körper und Leib eröffnen Zugänge zu Resonanzerfahrungen, welche ich hier unter Embodiment im Kontext Kunstpädagogik untersuche.
Phänomenologie des Leibes
Merlau–Ponty wird wiederholt im Zusammenhang mit der Lektüre von Waldenfels erwähnt, seine Bedeutung für die Kulturwissenschaften ist, ganz unabhängig von Waldenfels, für viele Forschungen innerhalb der Ästhetik und der Kulturwissenschaften zentral, vor allem für die Fragestellung der Leibbetrachtung, weil sich durch seinen Ansatz in der Phänomenologie in Bezug auf den Leib ein neues Verhältnis in der Anschauung des Menschenbildes entwickelt hat, ein Verständnis der menschlichen Gestalt, welches eine Verbindung von Geist und Leib und Körper umfasst. (Siehe den Kommentar zum Band Leiblichkeit)[17] Wahrnehmung wird nicht in einem konstruktivistischen Sinn oder in einer unvermittelbaren Dualität gedacht, sondern der Leib des Menschen wird als Chiasmus, ein sich verkörpernder Geist und als sich vergeistigender Leib verstanden. Innerhalb der, vor allem ästhetisch orientierten Kulturwissenschaften hat sich so ein Paradigmenwechsel vollzogen, der den Auffassungen Steiners nahesteht, so meine Vorausannahme. Die geistige Wirksamkeit der Ideen wird als in den materiellen Dingen wirkend erfahren. Die Ideen sind als formende Kräfte in der physischen Welt der Materie präsent. Auch in den Kulturwissenschaften des angelsächsischen Raumes kann man die Vorzeichen dieses Paradigmenwechsels erkennen. Der Begriff des „embodied mind“[18] hat Hochkonjunktur exemplarisch sei hier auf Schriften von Varela und Thomas Csordas verwiesen [19]. Insgesamt vertreten diese Embodiment-Theorien eine nicht-dualistische Auffassung von Geist und Körper. Wie Waldenfels findet auch Csordas in der Lektüre Merlau-Pontys einen Ausgangspunkt, um ein Verständnis des Leibes zu entwickeln, das vor allem in der Kulturanthropologie den Körper in seiner Interaktion mit der Welt gegenüber einer rein textorientierten Auffassung und der reduktionistisch-funktionalistischen Sichtweise rehabilitiert, wie sie vor allem in der KI-Forschung und der Robotik als künstlicher Intelligenz des Transhumanismus propagiert wird. Kultur als Text wird zunehmend ergänzt durch bildorientierte performative und inszenierte Prozesse willensbetonter Handlungen, die den Menschen jenseits der reduktionistischen Sicht der medizinischen Wissenschaften und der transhumanistischen Ideologie, den physischen Körper als potentiell vergeistigten Leib, in der Kultur als schöpferisches und freiheitsbegabtes Potential begreifen. Die Entdeckung des Leibes, wie sie sich als Paradigmenwechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert vollzog (siehe Kapitel Historische Aspekte), hat mit der Wende zum 21. Jahrhundert eine neue Relevanz erreicht.
Körperlichkeit in der Gegenwart
Erfahrungen in der Unterrichtspraxis im Feld Kunstpädagogik zeigen, beschleunigt durch die rasanten Entwicklungen in der Medienwelt unserer Informationsgesellschaft, dass die Frage nach dem menschlichen Leib und dem menschlichen Körper eine immense Bedeutung zukommt. Nicht nur in den existenziellen Fragen der Gegenwartskunst ist das Rätsel vom Selbst und der Körperidentität zu einem zentralen Motiv geworden.[20] Auch für die Jugendlichen ist in den Jahren der Adoleszenz der Umgang mit dem eigenen Leib und dem Körper, innerhalb einer von diversen und schwer zu verstehenden Medienbildern geprägten Umwelt, ein zentrales Motiv. Nicht nur die geschlechtsspezifische Identität, sondern auch die Orientierung in unserer sehr komplexen Wissensgesellschaft zwischen beruflicher Karriere und der Sinnstiftung für den eigenen Lebensentwurf ist für die Jugend, bedingt durch die kaum aufgearbeiteten Erfahrungen während der Zeit der Pandemie häufig kein selbstverständlicher Weg mehr, da kaum noch eindeutige sichere Traditionen vorhanden sind. Neben Mager- und Computersucht bilden die Fragen von Freizeitgestaltung und dem Konsumverhalten in den Social -Media Welten innerhalb eines durch ästhetische Lifestyle Angebote geprägten Lebens im neoliberalen digitalen Turbokapitalismus eine Herausforderung.
Der Digitalisierungsprozess in der Corona Zeit
Neben starker Körperidentifizierung bei Extremsportarten und Inszenierung des eigenen Körpers durch Piercing, Schönheitschirurgie, gefärbten Haaren oder ausgefallenen Modestilen, fordern vor allem die Identitätsangebote der Medien in Form von Tik-Tok oder Germany sucht das Topmodel usw. von den Jugendlichen eine selbstbewusste eigene Wegbestimmung mit Bezug auf die Identifikation mit dem eigenen Körper. Der Horizont einer rein durch die Gentechnik manipulierten menschlichen Form, eines Homunkulus, ist, zumindest für manche Visionäre der Medizintechnik und KI- Forschung in greifbare Nähe gekommen. Aber auch die zunehmende, durch die Computertechnik völlig künstlich animierte virtuelle Leibgestalt hybrider Kunstwesen von Barbie bis Lara Croft ist eine Lebensumwelt, die sich immer weiter von der Natur entfernt. Den Jugendlichen und den Pädagogen wird ein waches Orientierungsvermögen abverlangt. Gelingendes Leben in einer leiblichen, selbstbestimmten Existenz ist nicht nur für Erwachsene verwundbar geworden.
Leib in der Anthropologie
Eine Differenz zwischen Leib und Körper findet sich weder in der englischen noch der französischen Sprache. Diese wurde von Husserl geprägt und dessen Schüler Merlau -Ponty. Kranich weist auf das Zusammenspiel des Lebenssinns mit den anderen Sinnen, anknüpfend an Steiner[21] hin:
“Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raum (seines Leibes) erfüllendes, leibliches Selbst“ (Steiner, GA 45, S. 31). In der philosophischen Anthropologie (z.B. Plessner 1975, S.294) und der Leibphänomenologie (z.B. Merlau-Ponty1974, I.Teil) werden Körper und Leib unterschieden. Der Körper ist ein *Ding unter Dingen* (Plessner1975, 1974 S. 180). Das, worauf Merlau-Ponty hindeutet, hat zur Grundlage das Erlebnis, sich durch den Lebenssinn im Leib zu empfinden.
Kranich bezieht den Lebenssinn auf das vegetative Nervensystem, welches den Körper weit durchzieht. Göbel entwickelt in diesen Zusammenhang das Zusammenspiel der 12 Sinne in seiner Sinnessymbiontik mit Bezug auf ästhetische Fragen. Durch künstlerische Übungen lassen sich Sinne entwickeln, im Grunde beruht alle Bildung besonders im Hinblick auf ästhetische Erziehung auf der Sensibilisierung der Sinne und deren vielfältigem ineinander Spiel.
Kommentar zum Schema:
Wie aus dem Schema unten ersichtlich stellt Steiner die fünf mehr innerleiblich unbewusst wirkenden Sinne den höheren Sinnen gegenüber. Ichsinn und Gedankensinn neigen sich zur Intuitionsfähigkeit des Menschen. Wortsinn und Hörsinn neigen zur Inspiration und Wärmesinn und Sehsinn wie die Innerlichkeit des Geschmacksinns zeigen eine Affinität zur Imagination. In den produktiven und rezeptiven ästhetischen Erfahrungen spielen diese Sinneserfahrungen in feinen Nuancen schwer „analysierbar“ ineinander. Kunst eröffnet das Feld der Beobachtung durch Erfahrung, wodurch nicht nur memorierbare Inhalte im Gedächtnis in den Blick geraten, sondern die Ursachen des zu Erfahrenden aus der Zukunft her sich entwickeln. Beispielsweise spielen qualitative Wärmeprozesse eine erhebliche Rolle in der künstlerischen Tätigkeit. Ein Gedicht erzeugt, einen Geruch, mitunter einen Geschmack. Farben oder eine Musikalität der Worte, bzw. die Bilder der Lyrik verdichten gerade aus dem ganzen Leben heraus unverfügbare Erfahrungen. Unser Phantasievermögen amalgiert schöpferisch ganz heterogene Sinnesfelder. Wobei allein das Phänomen der Synästhesie sicher differenziert gesondert ausgeführt werden müsste. Die oben im Schema kreisförmig angeführten Sinne haben jeweils eine Entsprechung im physischen Körper und seinen Organen, wie oben in Bezug auf den Lebenssinn im Zusammenhang mit dem vegetativen Nervensystem von Kranich erwähnt. Der Vagusnerv als „umherstreifender Nerv“ wird in der Nervensystematik so beschrieben, dass er verschiedene Sinnesorgane berührt.
Geht man davon aus, dass während der praktischen Ausübung der Malerei eine gesteigerte Aufmerksamkeit die Sinnes- und Nerventätigkeit und leiblich emotionale Erregungszustände sich bewusster in Farben und Formen niederschlagen, kann man von der Einheit, einem Ineinanderwirken physischer, leiblich- seelischer und geistiger Tätigkeiten sprechen. Embodiment meint hier jenseits einer Dualität eine verkörperte Erfahrung menschlich ästhetischer Existenz.
Abb. Die zwölf Sinne des Menschen in ihrer Beziehung zur Imagination, Inspiration und Intuition, Dornach, 8.August 1920; in: Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung.
Goebels Sinnessymbiontik
Ganz auf den Spuren der Sinneslehre Steiners entfaltet Goebel seine Studie zur Symbiose der Sinne. Ausgehend von Goethes Forderung, eine Kritik der Sinne zu erarbeiten, folgt Goebel, noch ohne die Entwicklung der Leibphilosophie ab 1990 zu berücksichtigen, getreu den Gedanken Steiners zur Wechselwirkung der Sinne. Seine Positionen berücksichtigen weniger eine morphologische oder physiologische Sicht der Sinne, sondern konzentrieren sich auf eine psychologische Perspektive ästhetischer Phänomene. Seine Ansichten bleiben der Klassischen Moderne nahe, ohne die Postmoderne oder Post-Postmoderne zu berücksichtigen, wie z.B. seine Darstellung der Gedanken Kandinskys zeigt. Kandinsky stellt in seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“, gleichwohl auch für aktuelle Fragen des Embodiments, die Wirksamkeit der verschiedenen Farben dar, ähnlich wie es Goethe in seiner sinnlich sittlichen Farbenlehre getan hat. Dabei steht das qualitative Erleben der Farben im Vordergrund. Oft bringt Kandinsky Klangbeispiele in das Farberleben ein, dieser Klang einer Farbe wird von Goebel als Beispiel für seine Vorstellung der Sinnessymbiose herangezogen, wobei Kandinskys Erfahrungen als Synästhetiker von Goebel kaum explizit reflektiert werden. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Wirksamkeiten der einzelnen 12 Sinne liefert Goebel „menschenkundliche“ Schemata dieser Wirksamkeiten in Bezug auf Denken, Fühlen und Wollen sowie eine Verbindung zu den von Steiner dargestellten Wesensgliedern. Diese verschiedenen Schichten von Leib und Körper werden im weiteren Text noch näher beleuchtet. Ausgehend von morphologischen Studien der Pflanzenwelt und der Entwicklung des menschlichen Schädels versucht Goebel zwei Zeitströme zu diagnostizieren. Einen Zeitstrom, der kausal-logisch von der Vergangenheit in die Zukunft fließt, und einen Zeitstrom, der im Lebendigen von der Zukunft in die Gegenwart fließt, in diesem umgekehrten Zeitstrom sieht er die Ursprünge künstlerischer Imagination. Unterstützt wird diese These im Besonderen durch zwei Zitate von Goethe und Christa Wolf, in welchen beide Künstler:innen beschreiben, wie sie aus der Zukunft eine Inspiration zu ihren Werken erfassen. Wiederum ausgehend von Steiner beschreibt Goebel ein weiteres, noch wenig beachtetes Forschungsergebnis Steiners zu den sieben Lebensprozessen, die in rezeptiven und produktiven künstlerischen Prozessen wirken. Im rezeptiven Teil des Kunstgenusses seien Atmung, Ernährung und Erwärmung zu finden, während im produktiven künstlerischen Schaffen Reproduktion, Sekretion, Wachstum und Bewahrung stärker zum Tragen kämen. Die sich aneinanderreihenden Sinneseindrücke bei der Betrachtung beispielsweise eines Gemäldes kann als Atmung verstanden werden, denn insofern sukzessiv der Vorgang der Beobachtung sich immer wieder fokussiert und verschiedene Aspekte des Werkes entdeckt, entsteht immer wieder neu eine pendelnde Form der Annäherung. Atmung oszilliert zwischen den Polen Systole und Diastole, zwischen Anschauung und Begriff erschließen sich allmählich ergänzende Wahrnehmungen zu einer Wirklichkeit. Dies kann zu einer Erwärmung und Beziehung mit dem Inhalt des Gemäldes führen, wodurch als Metapher durchaus der Begriff der Ernährung passt, denn im günstigsten Fall spürt man anhand der Qualitäten des Werkes eine Stärkung, weil die Erzeugung, das Nachschaffen des Werkes eine schöpferische Dimension erhält.
Ähnliches ließe sich für die in der produktiven Tätigkeit angesiedelten Prozesse von Absonderung, Fortpflanzung, Wachstum und Erhaltung nachweisen. Goebels Studie gipfelt in der Deutung des antiken Mythos von der Geburt der Aphrodite als Urbild der schöpferischen Tätigkeit der Phantasie. Das Studium der Studie erfordert Geduld, liefert aber fruchtbare Aspekte, um die Tätigkeit der Sinne im Körper und ihre Wirksamkeit in der ästhetischen Erfahrung zu konkretisieren. Die 1982 erschienene Studie berücksichtigt kaum Schriften zur Ästhetik und knüpft auch nicht an Diskurse zur Leibphilosophie an.
Ganz auf den Spuren der Sinneslehre Steiners entfaltet Goebel seine Studie zur Symbiose der Sinne. Ausgehend von Goethes Forderung, eine Kritik der Sinne zu erarbeiten, folgt Goebel, noch ohne die Entwicklung der Leibphilosophie ab 1990 zu berücksichtigen, getreu den Gedanken Steiners zur Wechselwirkung der Sinne. Seine Positionen berücksichtigen weniger eine morphologische oder physiologische Sicht der Sinne, sondern konzentrieren sich auf eine psychologische Perspektive ästhetischer Phänomene. Seine Ansichten bleiben der Klassischen Moderne nahe, ohne die Postmoderne oder Post-Postmoderne zu berücksichtigen, wie z.B. seine Darstellung der Gedanken Kandinskys zeigt. Kandinsky stellt in seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst“, gleichwohl auch für aktuelle Fragen des Embodiments, die Wirksamkeit der verschiedenen Farben dar, ähnlich wie es Goethe in seiner sinnlich sittlichen Farbenlehre getan hat. Dabei steht das qualitative Erleben der Farben im Vordergrund. Oft bringt Kandinsky Klangbeispiele in das Farberleben ein, dieser Klang einer Farbe wird von Goebel als Beispiel für seine Vorstellung der Sinnessymbiose herangezogen, wobei Kandinskys Erfahrungen als Synästhetiker von Goebel kaum explizit reflektiert werden. Nach einer ausführlichen Beschreibung der Wirksamkeiten der einzelnen 12 Sinne liefert Goebel „menschenkundliche“ Schemata dieser Wirksamkeiten in Bezug auf Denken, Fühlen und Wollen sowie eine Verbindung zu den von Steiner dargestellten Wesensgliedern. Diese verschiedenen Schichten von Leib und Körper werden im weiteren Text noch näher beleuchtet. Ausgehend von morphologischen Studien der Pflanzenwelt und der Entwicklung des menschlichen Schädels versucht Goebel zwei Zeitströme zu diagnostizieren. Einen Zeitstrom, der kausal-logisch von der Vergangenheit in die Zukunft fließt, und einen Zeitstrom, der im Lebendigen von der Zukunft in die Gegenwart fließt, in diesem umgekehrten Zeitstrom sieht er die Ursprünge künstlerischer Imagination. Unterstützt wird diese These im Besonderen durch zwei Zitate von Goethe und Christa Wolf, in welchen beide Künstler:innen beschreiben, wie sie aus der Zukunft eine Inspiration zu ihren Werken erfassen. Wiederum ausgehend von Steiner beschreibt Goebel ein weiteres, noch wenig beachtetes Forschungsergebnis Steiners zu den sieben Lebensprozessen, die in rezeptiven und produktiven künstlerischen Prozessen wirken. Im rezeptiven Teil des Kunstgenusses seien Atmung, Ernährung und Erwärmung zu finden, während im produktiven künstlerischen Schaffen Reproduktion, Sekretion, Wachstum und Bewahrung stärker zum Tragen kämen. Die sich aneinanderreihenden Sinneseindrücke bei der Betrachtung beispielsweise eines Gemäldes kann als Atmung verstanden werden, denn insofern sukzessiv der Vorgang der Beobachtung sich immer wieder fokussiert und verschiedene Aspekte des Werkes entdeckt, entsteht immer wieder neu eine pendelnde Form der Annäherung. Atmung oszilliert zwischen den Polen Systole und Diastole, zwischen Anschauung und Begriff erschließen sich allmählich ergänzende Wahrnehmungen zu einer Wirklichkeit. Dies kann zu einer Erwärmung und Beziehung mit dem Inhalt des Gemäldes führen, wodurch als Metapher durchaus der Begriff der Ernährung passt, denn im günstigsten Fall spürt man anhand der Qualitäten des Werkes eine Stärkung, weil die Erzeugung, das Nachschaffen des Werkes eine schöpferische Dimension erhält.
Ähnliches ließe sich für die in der produktiven Tätigkeit angesiedelten Prozesse von Absonderung, Fortpflanzung, Wachstum und Erhaltung nachweisen. Goebels Studie gipfelt in der Deutung des antiken Mythos von der Geburt der Aphrodite als Urbild der schöpferischen Tätigkeit der Phantasie. Das Studium der Studie erfordert Geduld, liefert aber fruchtbare Aspekte, um die Tätigkeit der Sinne im Körper und ihre Wirksamkeit in der ästhetischen Erfahrung zu konkretisieren. Die 1982 erschienene Studie berücksichtigt kaum Schriften zur Ästhetik und knüpft auch nicht an Diskurse zur Leibphilosophie an.
Leibphilosophie Hermann Schmitz
Hermann Schmitz baut seine phänomenologische Leibbetrachtung auf den Begriff des Spürens. Leib bedeutet ihm eine radikal subjektive Betrachtung des eigenen Empfindens.
„Wenn ich vom Leib spreche, denke ich nicht an den menschlichen oder tierischen Körper, den man besichtigen und betasten kann, sondern an das, was man in dessen Gegend von sich spürt, ohne über ein Sinnesorgan wie Auge oder Hand zu verfügen, dass man zum Zweck dieses Spürens willkürlich einsetzen könnte.“
Hieraus resultiert eine, beim Kapitel über Waldenfels näher ausgeführte, Unterscheidung in Körper und Leib. Körper ist für Schmitz alles mit den Sinnen zu Erfahrende und zu Ertastende. Leib alles was aus dem inneren Spüren oder allgemein vom Menschen wahrgenommen werden kann. Das Spüren wird von Schmitz als ein affektives Betroffensein definiert etwas, das der Person nahe geht.
„Alles affektive Betroffensein ist leiblich. Unter dem Leib verstehe ich zunächst das Gegenstandsgebiet der leiblichen Regungen, die am eigenen Leib ohne Beistand des Besehens und Betastens gespürt werden können wie zum Beispiel Angst, Schmerz Schrecken, Hunger, Durst, Wollust, Behagen, Frische, Mattigkeit, Ein- und Ausatmen.“
Das Gesamtbefinden wird hier als Wohlbefinden, Mißbefinden oder wie ein Gemeinsinn als Befindlichkeit thematisiert. Schmitz verbindet die Welt der Gefühle, die rein seelisch entstehen und das eher körpergebundene Empfinden, welche Steiner als Wirkungen der unteren Sinne, im Besonderen des Lebenssinnes, beschreibt. Schmitz verbindet Erfahrungen, die durch die, schon näher beschriebenen, unteren Sinne vom Menschen gemacht werden, mit den seelischen Erlebnissen. Aber er eröffnet so eine Dualität, das innere Spüren und das durch die äußeren Körpersinne Erfahrene werden in zwei Sphären unterteilt. Besonders der Lebenssinn ist für dieses Innere Spüren verantwortlich, alle Lebensvorgänge werden durch den von Steiner unten charakterisierten Lebenssinn bis in die Welt der Gefühle wahrgenommen. Der Lebenssinn zeigt alle Arten des Unwohlseins oder des Schmerzes an, gibt aber auch eine harmonische Empfindung, wenn alle Lebensvorgänge in Ordnung sind. Steiner beschreibt die Wirkung des Lebenssinnes. Wir erleben uns durch ihn in unserem Leib anwesend.
„Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raum seines Leibes Erfüllendes, leibliches Selbst“ Zitat S. ?
Merlau-Ponty äußert sich über die Wirkung des Lebenssinnes:
„...mein Leib steht nicht vor mir, sondern ich bin in meinem Leib, oder vielmehr ich bin mein Leib“
Der von Steiner beschriebene Lebenssinn ist hier ebenfalls ein Beispiel für die exakte phänomenologische Beschreibung, die Steiner Jahre vor Schmitz und Merlau-Ponty liefert. Beide Philosophen kommen aus jeweils anderen Gedankengängen zu der Beschreibung des Lebenssinnes oder verwenden die Erfahrungen mit dem Lebenssinn in anderen Zusammenhängen. Zumindest verabsolutiert Schmitz in gewisser Weise die Wirkungen dieses Sinnes und lässt Aspekte, die durch die anderen Sinne eine Präsenz für die menschliche Existenz haben, außer Acht. Waldenfels beispielsweise kritisiert Schmitz für diese Dualität und vor allem für die fehlende Berücksichtigung der Forschungsergebnisse die Erwin Strauss, Husserl, und Merlau-Ponty zu diesen Problemen vorgelegt haben. Hier sollte der Ansatz von Schmitz knapp vorgestellt werden, um zu zeigen, wie differenziert in seinen Forschungen heute von Steiner schon dargestellte Erkenntnisse gefunden werden können, die nun aber nuanciert und mit anderen Begriffen verwendet worden sind.
Hermann Schmitz baut seine phänomenologische Leibbetrachtung auf den Begriff des Spürens. Leib bedeutet ihm eine radikal subjektive Betrachtung des eigenen Empfindens.
„Wenn ich vom Leib spreche, denke ich nicht an den menschlichen oder tierischen Körper, den man besichtigen und betasten kann, sondern an das, was man in dessen Gegend von sich spürt, ohne über ein Sinnesorgan wie Auge oder Hand zu verfügen, dass man zum Zweck dieses Spürens willkürlich einsetzen könnte.“
Hieraus resultiert eine, beim Kapitel über Waldenfels näher ausgeführte, Unterscheidung in Körper und Leib. Körper ist für Schmitz alles mit den Sinnen zu Erfahrende und zu Ertastende. Leib alles was aus dem inneren Spüren oder allgemein vom Menschen wahrgenommen werden kann. Das Spüren wird von Schmitz als ein affektives Betroffensein definiert etwas, das der Person nahe geht.
„Alles affektive Betroffensein ist leiblich. Unter dem Leib verstehe ich zunächst das Gegenstandsgebiet der leiblichen Regungen, die am eigenen Leib ohne Beistand des Besehens und Betastens gespürt werden können wie zum Beispiel Angst, Schmerz Schrecken, Hunger, Durst, Wollust, Behagen, Frische, Mattigkeit, Ein- und Ausatmen.“
Das Gesamtbefinden wird hier als Wohlbefinden, Mißbefinden oder wie ein Gemeinsinn als Befindlichkeit thematisiert. Schmitz verbindet die Welt der Gefühle, die rein seelisch entstehen und das eher körpergebundene Empfinden, welche Steiner als Wirkungen der unteren Sinne, im Besonderen des Lebenssinnes, beschreibt. Schmitz verbindet Erfahrungen, die durch die, schon näher beschriebenen, unteren Sinne vom Menschen gemacht werden, mit den seelischen Erlebnissen. Aber er eröffnet so eine Dualität, das innere Spüren und das durch die äußeren Körpersinne Erfahrene werden in zwei Sphären unterteilt. Besonders der Lebenssinn ist für dieses Innere Spüren verantwortlich, alle Lebensvorgänge werden durch den von Steiner unten charakterisierten Lebenssinn bis in die Welt der Gefühle wahrgenommen. Der Lebenssinn zeigt alle Arten des Unwohlseins oder des Schmerzes an, gibt aber auch eine harmonische Empfindung, wenn alle Lebensvorgänge in Ordnung sind. Steiner beschreibt die Wirkung des Lebenssinnes. Wir erleben uns durch ihn in unserem Leib anwesend.
„Durch sie empfindet sich der Mensch als ein den Raum seines Leibes Erfüllendes, leibliches Selbst“ Zitat S. ?
Merlau-Ponty äußert sich über die Wirkung des Lebenssinnes:
„...mein Leib steht nicht vor mir, sondern ich bin in meinem Leib, oder vielmehr ich bin mein Leib“
Der von Steiner beschriebene Lebenssinn ist hier ebenfalls ein Beispiel für die exakte phänomenologische Beschreibung, die Steiner Jahre vor Schmitz und Merlau-Ponty liefert. Beide Philosophen kommen aus jeweils anderen Gedankengängen zu der Beschreibung des Lebenssinnes oder verwenden die Erfahrungen mit dem Lebenssinn in anderen Zusammenhängen. Zumindest verabsolutiert Schmitz in gewisser Weise die Wirkungen dieses Sinnes und lässt Aspekte, die durch die anderen Sinne eine Präsenz für die menschliche Existenz haben, außer Acht. Waldenfels beispielsweise kritisiert Schmitz für diese Dualität und vor allem für die fehlende Berücksichtigung der Forschungsergebnisse die Erwin Strauss, Husserl, und Merlau-Ponty zu diesen Problemen vorgelegt haben. Hier sollte der Ansatz von Schmitz knapp vorgestellt werden, um zu zeigen, wie differenziert in seinen Forschungen heute von Steiner schon dargestellte Erkenntnisse gefunden werden können, die nun aber nuanciert und mit anderen Begriffen verwendet worden sind.
Exkurs 1 Zur Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie
Die notorische Ausklammerung Steiners aus wissenschaftlichen Fragestellungen gleicht einem klerikalen Gesetz. Steiners Auseinandersetzung mit erweiterten Erkenntnisperspektiven in Form von Imagination, Inspiration und Intuition werden in der Forschung diskreditiert. Helmut Zander thematisiert seit Jahrzehnten „Anthroposophieforschung“ [3]. Wie steht es um die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie? Diese Fragen werden in dem Band (siehe S. 231) zumindest in diesem Band besonders in den Beiträgen von Hartmut Traub in dialogischer Weise geführt. Um Esoterik in Deutschland sinnvoll in die Akademische Forschung einzubinden, fand 2022 auf Einladung der Bundeszentrale für Politische Bildung (Federal Agency for Civic Education) ein Vortrag zur virulenten Thematik Esoterik und Demokratie von Prof. Hanegraf statt, welcher die Esoterikforschung in den Niederlanden in den letzten Jahrzehnten etablierte.[4] Nur zögernd findet in Deutschland eine universitäre Besinnung auf hermetische Traditionen statt. Meditationstechniken, Achtsamkeitsschulungen wie MBSR werden eher im Kontext der Salutogenese rezipiert. Body-Mass-Index, Wellness-Kulte und Selbstfindungs -Egoismus des persönlichen Wohlbefindens diskreditieren diese Welle des Interesses an Körper und Meditation jedoch oft als nicht ernst zu nehmende unwissenschaftliche Forschung. Körperlichkeit ist in aller Munde, doch was ist mit Körper oder Leib gemeint? Auch zum Thema Imagination [5] existiert umfassende Forschung (siehe Register Cluster II) und ebenso zur Meditation, der Anthropologe Christoph Wulf beschreibt in seinem Werk „Meditation als Lebens- und Erfahrungsform“ [6] die Fragen rund um die Kontemplation in interkultureller Perspektive. In sechs Ansätzen beschreiben die Herausgeber hier Meditation. Meine Vorannahme wäre demnach, dass tiefere ästhetische Erfahrungen im Zusammenhang mit der Imaginationsfähigkeit des Menschen verstärkt durch ein meditatives Bewusstsein, welches zentral mit der Körperlichkeit (Embodiment) interagiert, erreicht werden können. Gerade für die Ästhetik könnte in einer künstlerisch poetischen Lesart Steiners Leibphilosophie anregen, die Komplexität des Embodiment aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Auch in der Religionswissenschaft in Deutschland etabliert sich seit einigen Jahrzehnten eine Esoterikforschung [7], z.B. am Lehrstuhl für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie [8], um nur ein Beispiel zu nennen. Die Niederlande sind in dieser Hinsicht aus ihrer geschichtlichen Situation heraus fortschrittlicher und haben eine lange Tradition in der Esoterikforschung. Ein Protagonist ist Hanegraf [9], der lange Zeit Präsident der „European Society for the Study of Western Esotericism“ war. Esoterik kollidiert jedoch mit dem, was zumindest in Deutschland vorherrschend unter Wissenschaft verstanden wird. Sobald es aber um das Verständnis der Organisation von Leib, Körper und Geist des Menschen geht, prallen Lehrmeinungen und Weltanschauungen im Zusammenhang mit interkulturellen Perspektiven aufeinander, man glaubt, vor dem babylonischen Turm der Sprachverwirrung zu stehen. Oft finden sich, wie beispielsweise auch im angeführten Artikel zur Intuition von Waldenfels Diskreditierungen oben erwähnter Wellness-Esoterik. Dennoch verbleibt, wenn man den Ausführungen von Waldenfels folgt, sein Begriff von Intuition nah an der Position der Anthropologie von Kant, der intuitive Formen der Erkenntnis schlicht als Schwärmerei verwarf. Siehe Waldenfels Zitat über das „Gespür der Dinge“
Waldenfels
Die Eingrenzung der Bedeutungen dieser Begriffe bezieht sich zunächst auf das Wörterbuch deutscher Sprache (Etymologie)
Die Verflechtung dieser Sinnschichten ergeben fließende Bedeutungsnuancen, aber auch Verbindungen, die Unterschiede aufzuheben scheinen. Bewegliche Gedankenprozesse und offene Fragen entstehen, die eine Annäherung an das Verständnis des Zusammenhanges ermöglichen. Aber es zeigt sich eine Offenheit und schwer zu definierende Interaktion von Leib und Körper. Körper (aus lat. Corpus oder vielmehr aus dem Stamme dieses Wortes: corpor —; das altgermanische Wort für Körper war Leich, jetzt noch in Leichnam) bezeichnet überhaupt das Materielle, Stoffliche, was man sehen und greifen kann, im Gegensatz zum Geist; Leib (mhd. lîp, d. i. Leben und Leib) bezeichnet eher den beseelten und belebten Stoff, des tierischen und menschlichen Körpers, im Gegensatz zur Seele. Körper ist also der allgemeinere Ausdruck; er kann daher auch da gebraucht werden, wo man sonst Leib anwendet, aber nicht umgekehrt kann Leib überall da stehen, wo man Körper sagt. Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm[22] findet man:
"Das Fremdwort Körper ist mit dem einheimischen Leib noch bis heute nicht völlig eins geworden, und dabei hat sich jenes mehr zu Geist, dieses mehr zu Seele gesellt; denn Geist und Körper, Leib und Seele ist die uns geläufige Zusammenstellung, z. B.:
Es ist den beiden Namen von den etymologischen Bedeutungen her eine Polarität eingeschrieben. Diese Polarisierung eines Geist-Körper Dualismus versucht der Philosoph Waldenfels aus der Sicht der Phänomenologie zum Leib-Körper Problem[23] zu überwinden. Grundlegend befragt er den Geist-Körper Dualismus, wie er von Descartes in die europäische Philosophie eingeführt worden ist. Wie diese, in der gesamten Philosophie immer wieder bewegte Natur-Geist Polarität eine Vermittlung erfährt, ist ein Leitfaden seiner Fragestellung. Descartes Denkmodell fußt zwar auch auf den Gedanken des Aristoteles, der die Seele als eine den Leib formende Energie versteht. Descartes vermutete den Sitz der Seele in der Zwirbeldrüse, was noch auf eine dubiose Verbindung von Seele und Körper deuten würde. Descartes beginnt nun allerdings, obwohl er diesen Zusammenhang zwischen Körper und Geist zu klären versucht, beide Gebiete als sehr polarisierte Sphären zu definieren die res extensio als den Bereich der Dinge und die res cogitans als den Bereich des Denkens und des Geistes. Hieraus entstand für die Geistesgeschichte Europas ein folgenschwerer Dualismus. Der Mensch hatte nun einen Körper, dem er wie ein Ding unter anderen Dingen gegenüberstand und einen Geist durch den er denken konnte. Das Denken steht der äußeren Welt der Dinge, Pflanzen und Tiere eingerechnet, fremd und getrennt entgegen. Er betonte dadurch, die schon im Deutschen Wörterbuch angelegte, Polarität von Geist und Körper in einer Weise, die zur Folge hatte, dass der Mensch sich zunehmend in seiner gesamten Sinnesorganisation als ein von der Welt abgesondertes Wesen erfuhr. Diese Welt wurde durch die Naturwissenschaften erklärt und durch die Technik beherrscht.
„Wie nämlich der denkende Geist höhergestellt wird, sozusagen noch geistiger ist als die nur empfindende Seele, so ist uns nach der andern Seite hin Körper schärfer bezeichnend, sozusagen noch körperlicher als Leib; denn Leib schließt uns meist Leben und Fühlen, also die Seele eigentlich mit ein, während man das Absehen von allem Geistigen und Seelischen, das Leibliche an sich am schärfsten nur mit Körper ausdrückt.“
Waldenfels, Bernhard, Das Leibliche Selbst , Suhrkamp Wissenschaft S.
Vergleich zu Steiners Darstellungen
Es lassen sich bei den Schilderungen von Waldenfels in mehreren Kapiteln der Vorlesungen Gedankenzusammenhänge finden, die Steiner nur mit einer anderen Begrifflichkeit beschreibt. So zeigen die Ausführungen über „Aktuelle und Habituelle Leiblichkeit Situation und Welt“, S. manche Berührungspunkte mit dem von Steiner charakterisierten Lebensleib. Ausgehend von Merlau-Ponty und Heidegger, die von Gewöhnung und Gewohnheit sprechen, thematisiert Waldenfels das Wohnen in der Welt. In der Unterscheidung zwischen aktuellem Leib, als einem in der Gegenwart fungierendem Leib und habituellem Leib, der durch die Geschichte seiner Veränderungen geprägt wurde, werden konstitutionelle Qualitäten beschrieben. Gewohnheiten, die sich durch Jahre lange Lebensvollzüge der Gestalt des Leibes eingeschrieben haben sind habituell geworden und prägen sich im Leib aus. Besonders hervorheben würde man aus der Sicht der Neurologie heute, besonders die Spuren im Gehirn, die immer wieder betätigten Gewohnheiten, Verhaltens- und Denkweisen, welche sich in die Synapsen einschreiben.
Die Eingrenzung der Bedeutungen dieser Begriffe bezieht sich zunächst auf das Wörterbuch deutscher Sprache (Etymologie)
Die Verflechtung dieser Sinnschichten ergeben fließende Bedeutungsnuancen, aber auch Verbindungen, die Unterschiede aufzuheben scheinen. Bewegliche Gedankenprozesse und offene Fragen entstehen, die eine Annäherung an das Verständnis des Zusammenhanges ermöglichen. Aber es zeigt sich eine Offenheit und schwer zu definierende Interaktion von Leib und Körper. Körper (aus lat. Corpus oder vielmehr aus dem Stamme dieses Wortes: corpor —; das altgermanische Wort für Körper war Leich, jetzt noch in Leichnam) bezeichnet überhaupt das Materielle, Stoffliche, was man sehen und greifen kann, im Gegensatz zum Geist; Leib (mhd. lîp, d. i. Leben und Leib) bezeichnet eher den beseelten und belebten Stoff, des tierischen und menschlichen Körpers, im Gegensatz zur Seele. Körper ist also der allgemeinere Ausdruck; er kann daher auch da gebraucht werden, wo man sonst Leib anwendet, aber nicht umgekehrt kann Leib überall da stehen, wo man Körper sagt. Im Wörterbuch der Gebrüder Grimm[22] findet man:
"Das Fremdwort Körper ist mit dem einheimischen Leib noch bis heute nicht völlig eins geworden, und dabei hat sich jenes mehr zu Geist, dieses mehr zu Seele gesellt; denn Geist und Körper, Leib und Seele ist die uns geläufige Zusammenstellung, z. B.:
Es ist den beiden Namen von den etymologischen Bedeutungen her eine Polarität eingeschrieben. Diese Polarisierung eines Geist-Körper Dualismus versucht der Philosoph Waldenfels aus der Sicht der Phänomenologie zum Leib-Körper Problem[23] zu überwinden. Grundlegend befragt er den Geist-Körper Dualismus, wie er von Descartes in die europäische Philosophie eingeführt worden ist. Wie diese, in der gesamten Philosophie immer wieder bewegte Natur-Geist Polarität eine Vermittlung erfährt, ist ein Leitfaden seiner Fragestellung. Descartes Denkmodell fußt zwar auch auf den Gedanken des Aristoteles, der die Seele als eine den Leib formende Energie versteht. Descartes vermutete den Sitz der Seele in der Zwirbeldrüse, was noch auf eine dubiose Verbindung von Seele und Körper deuten würde. Descartes beginnt nun allerdings, obwohl er diesen Zusammenhang zwischen Körper und Geist zu klären versucht, beide Gebiete als sehr polarisierte Sphären zu definieren die res extensio als den Bereich der Dinge und die res cogitans als den Bereich des Denkens und des Geistes. Hieraus entstand für die Geistesgeschichte Europas ein folgenschwerer Dualismus. Der Mensch hatte nun einen Körper, dem er wie ein Ding unter anderen Dingen gegenüberstand und einen Geist durch den er denken konnte. Das Denken steht der äußeren Welt der Dinge, Pflanzen und Tiere eingerechnet, fremd und getrennt entgegen. Er betonte dadurch, die schon im Deutschen Wörterbuch angelegte, Polarität von Geist und Körper in einer Weise, die zur Folge hatte, dass der Mensch sich zunehmend in seiner gesamten Sinnesorganisation als ein von der Welt abgesondertes Wesen erfuhr. Diese Welt wurde durch die Naturwissenschaften erklärt und durch die Technik beherrscht.
„Wie nämlich der denkende Geist höhergestellt wird, sozusagen noch geistiger ist als die nur empfindende Seele, so ist uns nach der andern Seite hin Körper schärfer bezeichnend, sozusagen noch körperlicher als Leib; denn Leib schließt uns meist Leben und Fühlen, also die Seele eigentlich mit ein, während man das Absehen von allem Geistigen und Seelischen, das Leibliche an sich am schärfsten nur mit Körper ausdrückt.“
Waldenfels, Bernhard, Das Leibliche Selbst , Suhrkamp Wissenschaft S.
Vergleich zu Steiners Darstellungen
Es lassen sich bei den Schilderungen von Waldenfels in mehreren Kapiteln der Vorlesungen Gedankenzusammenhänge finden, die Steiner nur mit einer anderen Begrifflichkeit beschreibt. So zeigen die Ausführungen über „Aktuelle und Habituelle Leiblichkeit Situation und Welt“, S. manche Berührungspunkte mit dem von Steiner charakterisierten Lebensleib. Ausgehend von Merlau-Ponty und Heidegger, die von Gewöhnung und Gewohnheit sprechen, thematisiert Waldenfels das Wohnen in der Welt. In der Unterscheidung zwischen aktuellem Leib, als einem in der Gegenwart fungierendem Leib und habituellem Leib, der durch die Geschichte seiner Veränderungen geprägt wurde, werden konstitutionelle Qualitäten beschrieben. Gewohnheiten, die sich durch Jahre lange Lebensvollzüge der Gestalt des Leibes eingeschrieben haben sind habituell geworden und prägen sich im Leib aus. Besonders hervorheben würde man aus der Sicht der Neurologie heute, besonders die Spuren im Gehirn, die immer wieder betätigten Gewohnheiten, Verhaltens- und Denkweisen, welche sich in die Synapsen einschreiben.
Steiner beschreibt den Lebensleib als Gewohnheitsleib, der sich durch Wachstumsrhythmen und Lebensvorgänge ausgestaltet, alles was mit Wachstum, Regeneration und Wiederholung zu tun hat, unterliegt dem Element der Zeit, so wird der Lebensleib an anderer Stelle von ihm auch als Zeitenleib charakterisiert. Der Lebensleib strukturiert den materiell physischen Leib, er „informiert“ ihn. Hier finden sich die oben erwähnten 7 Lebensprozesse, welche aus der Perspektive ästhetischer Erfahrung und künstlerischer Praxis ein noch wenig beforschtes Feld zeigen.
Auch im Zusammenhang mit den Reflexionen auf die Lernprozesse reflektiert Waldenfels auf den Gewohnheitsleib. Gedächtnis und Lernvorgänge sind nach Steiner zu einem großen Teil Vorgänge, die mit der Arbeit des Lebensleibes zusammenhängen.
Die Ausführungen von Waldenfels weisen, auf dem Hintergrund der Phänomenologie, immer wieder eine große Nähe zu diesen Anschauungen auf. Besonders der Subjekt- Objektspaltung im Hinblick auf die Wahrnehmung versucht er, in stringenter Anlehnung an die Forschungen zur Wahrnehmung von Merlau-Ponty, entgegen zu wirken. Merlau-Ponty spricht in diesem Sinne von einer Genealogie des Seins. Wahrnehmung wird, phänomenologisch betrachtet, als ein Vorgang gedacht, der Mensch und Welt ineinander verflochten sieht. Der Vollzugsakt der Wahrnehmung und dessen bewusste Beobachtung birgt die Genese der Wirklichkeit für den Menschen. Der Welt- und Wirklichkeitsbezug des Menschen entsteht, indem sich der Mensch auf die Erfahrung der Wahrnehmung in seiner sinnlichen Existenz einlässt. So erfahren wir uns in unserem Leib als Existenz.
Durch die Wahrnehmung kann eine Erkenntnisqualität entstehen, die den Menschen im Wahrnehmungsakt mit der Welt verbindet. Im Wahrnehmungsprozess zeigt sich der Gestaltzusammenhang. Hier greift Merlau-Ponty bei seinen Forschungen auf das Bild der Kommunion in der Heiligen Messe zurück. Wahrnehmungen zu verinnerlichen bedeutet für ihn eine Qualität der heiligen Verbindung zu schaffen. Der Mensch verbindet sich in innigster Weise mit der Welt, weil die Welt durch die Natur ihn zu einem großen Teil noch immer bestimmt. Die Sinne sind die Kanäle durch die der Mensch mit dem Sein unmittelbar kommuniziert. Der Mensch ist so in der Lage eine sinnliche, direkt sinnstiftende ästhtische Erkenntnis der Welt zu erfassen. In Abgrenzung zum Konstruktivismus, der eine unabhängig von der Welt nur im Menschen entstehende Wirklichkeit betont, dem Rationalismus, der seine Denkmodelle in Theorien außerhalb der Phänomene sucht und dem Empirismus, der aus den Erscheinungen häufig nur additive Datensammlungen generiert, versucht Waldenfels einen mittleren Weg für seine Philosophie, immer in der Relektüre zu dem Phänomenologen Merlau-Ponty, dieser Weg steht der Anschauung Goethes, einer künstlerisch, qualitativen Weltbetrachtung nahe.
Waldenfels, Das leibliche Selbst, S.256
In diesem Schema ist die Differenz von Leib, Körper und Geist noch einmal visuell zusammengefasst. Die Verabsolutierung sowohl einer Spiritualisierung als auch einer Naturalisierung bewirkt, dass der Leib als Umschlagstelle und Bindeglied sowie als einheitliche Kategorie aus dem Blickfeld gerät.
Merlau-Ponty spricht in seinem Spätwerk hier von „chair“ im Sinne von Fleisch, da es im Französischen keine Unterscheidung zwischen Körper und Leib gab. Mit Fleisch versucht er einen einheitlichen Leib zu charakterisieren, der die geistige und körperliche Existenz des Menschen umfasst und so den Menschen in seinem alltäglichen Dasein als ein Wesen aus Körper, Seele und Geist begreift, die aber nicht als schematisch getrennte Welten gedacht werden dürfen. Zu den Anschauungen, die Steiner in der Theosophie entwickelt, ergibt sich bei dieser Betrachtung eine Verwandtschaft, die zeigt, dass Steiners Darstellungen zum Bild des Menschen durchaus im Kontext einer phänomenologisch orientierten Kulturanthropologie rezipiert werden können.
Skizze einer Mehrstufigkeit des Leibes /
Steiner im Verhältnis zu Theorien der Leibphilosophie
In diesem Kapitel soll ein kurzer Einblick in Gedankenzusammenhänge vermittelt werden, welche die Anschauung des Leibes in einem ganzheitlichen Sinn betreffen. Steiner formulierte dieses umfassende Menschenbild zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts als Grundlage der Pädagogik. Die Entwicklung der menschlichen Sinnesorganisation spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die Verkörperung der menschlichen Wesenheit in der Sinnesorganisation ist ein Transformationsprozess, in dem vor allem das leibliche Selbst seine Realisierung findet. Der Leib in seiner vielschichtigen Struktur ist die Partitur auf welcher physische, seelische und geistige Wirkungen ineinander klingen. Um diese differenzierten Prozesse zu verstehen, entwickelte Steiner die klaren Begriffe der Theosophie. Die Rezeption dieser Forschungen wird innerhalb der wissenschaftlichen Diskurse heute zum Teil dadurch erschwert dass, die, für ein durch die Aufklärung geprägtes Bewusstsein fremd anmutenden Begriffe wie Astralleib, Ätherleib oder Geistselbst, bei Steiner wie ein fremdartiges aus östlicher Philosophie entlehntes, Lehrgebäude erscheinen. Jeder dieser Begriffe kann aber, in eine etwas andere sprachliche Wendung übersetzt, durchaus so dargestellt werden, dass eine unmittelbare Einsicht in das damit bezeichnete gewonnen werden kann. Die eigene Erfahrung in der selbsterrungenen Erkenntnis ist der Prüfstein auch bei der Rezeption der Steinerschen Gedanken, damit diese nicht als dogmatisches Lehrgebäude gläubig aufgenommen werden. Die Phänomenologie ist die Brücke, auf der dieses eigene Erkennen vollzogen werden kann. Auf der Basis der Ästhetik kann die einseitige Form, der durch Kant geprägten Art der Erkenntnis erweitert werden. Der griechische Begriff Aisthesis als sinnliche Erkenntnis verstanden, kann einen zeitgemäßen Zugang zu den Geisteswissenschaftlichen Forschungen Steiners eröffnen. Besonders in den Entwicklungen der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts sind in dieser Hinsicht, kulturgeschichtlich betrachtet, neue Horizonte entstanden.
Waldenfels entwickelt in seiner Vorlesung „Das leibliche Selbst“ in Anlehnung an die Phänomenologie der Wahrnehmung von Merlau-Ponty und in Bezugnahme auf die phänomenologischen Ansätze von Edmund Husserl auf annähernd vierhundert Seiten eine Überschau auf den Stand der gegenwärtigen Leibphilosophie. Ausgehend von dem Dualismus von Geist und Körper, den Descartes in die europäische Philosophie eingeführt hat, versucht der Autor zu einer einheitlichen Sichtweise des Leibes vorzustoßen, in der die Antinomie von natürlichem und kulturellem Menschen nicht als ein gegeneinanderstehendes Prinzip gedacht werden muss. Die kontroversen Ansätze werden durch eigene Gedankenverknüpfungen, Wertungen und auch kritische Würdigung in einen fruchtbaren Diskurs geführt. Die Vorlesungen sind in den Jahren 1996-97 entstanden und zum Teil für die Veröffentlichung überarbeitet worden.
Ähnlich wie in gegenwärtigen Leibphilosophien unterscheidet Steiner, bei der grundsätzlichen Einführung in die Darstellungen zum Menschenbild, zwischen Körper in physischer Hinsicht und Leib der stärker an den empfindenden, seelischen Menschen angeschlossen ist.
Steiner im Verhältnis zu Theorien der Leibphilosophie
In diesem Kapitel soll ein kurzer Einblick in Gedankenzusammenhänge vermittelt werden, welche die Anschauung des Leibes in einem ganzheitlichen Sinn betreffen. Steiner formulierte dieses umfassende Menschenbild zum Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts als Grundlage der Pädagogik. Die Entwicklung der menschlichen Sinnesorganisation spielt hierbei eine zentrale Rolle. Die Verkörperung der menschlichen Wesenheit in der Sinnesorganisation ist ein Transformationsprozess, in dem vor allem das leibliche Selbst seine Realisierung findet. Der Leib in seiner vielschichtigen Struktur ist die Partitur auf welcher physische, seelische und geistige Wirkungen ineinander klingen. Um diese differenzierten Prozesse zu verstehen, entwickelte Steiner die klaren Begriffe der Theosophie. Die Rezeption dieser Forschungen wird innerhalb der wissenschaftlichen Diskurse heute zum Teil dadurch erschwert dass, die, für ein durch die Aufklärung geprägtes Bewusstsein fremd anmutenden Begriffe wie Astralleib, Ätherleib oder Geistselbst, bei Steiner wie ein fremdartiges aus östlicher Philosophie entlehntes, Lehrgebäude erscheinen. Jeder dieser Begriffe kann aber, in eine etwas andere sprachliche Wendung übersetzt, durchaus so dargestellt werden, dass eine unmittelbare Einsicht in das damit bezeichnete gewonnen werden kann. Die eigene Erfahrung in der selbsterrungenen Erkenntnis ist der Prüfstein auch bei der Rezeption der Steinerschen Gedanken, damit diese nicht als dogmatisches Lehrgebäude gläubig aufgenommen werden. Die Phänomenologie ist die Brücke, auf der dieses eigene Erkennen vollzogen werden kann. Auf der Basis der Ästhetik kann die einseitige Form, der durch Kant geprägten Art der Erkenntnis erweitert werden. Der griechische Begriff Aisthesis als sinnliche Erkenntnis verstanden, kann einen zeitgemäßen Zugang zu den Geisteswissenschaftlichen Forschungen Steiners eröffnen. Besonders in den Entwicklungen der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts sind in dieser Hinsicht, kulturgeschichtlich betrachtet, neue Horizonte entstanden.
Waldenfels entwickelt in seiner Vorlesung „Das leibliche Selbst“ in Anlehnung an die Phänomenologie der Wahrnehmung von Merlau-Ponty und in Bezugnahme auf die phänomenologischen Ansätze von Edmund Husserl auf annähernd vierhundert Seiten eine Überschau auf den Stand der gegenwärtigen Leibphilosophie. Ausgehend von dem Dualismus von Geist und Körper, den Descartes in die europäische Philosophie eingeführt hat, versucht der Autor zu einer einheitlichen Sichtweise des Leibes vorzustoßen, in der die Antinomie von natürlichem und kulturellem Menschen nicht als ein gegeneinanderstehendes Prinzip gedacht werden muss. Die kontroversen Ansätze werden durch eigene Gedankenverknüpfungen, Wertungen und auch kritische Würdigung in einen fruchtbaren Diskurs geführt. Die Vorlesungen sind in den Jahren 1996-97 entstanden und zum Teil für die Veröffentlichung überarbeitet worden.
Ähnlich wie in gegenwärtigen Leibphilosophien unterscheidet Steiner, bei der grundsätzlichen Einführung in die Darstellungen zum Menschenbild, zwischen Körper in physischer Hinsicht und Leib der stärker an den empfindenden, seelischen Menschen angeschlossen ist.
„Durch leibliche Sinne lernt man den Leib des Menschen kennen. Und die Betrachtungsart kann dabei keine andere sein als diejenige, durch welche man andere sinnlich wahrnehmbare Dinge kennenlernt. Wie man die Mineralien, die Pflanzen, die Tiere betrachtet, so kann man auch den Menschen betrachten. Er ist mit diesen drei Formen des Daseins verwandt. Gleich den Mineralien baut er seinen Leib aus den Stoffen der Natur auf; gleich den Pflanzen wächst er und pflanzt sich fort; gleich den Tieren nimmt er die Gegenstände um sich herum wahr und bildet auf Grund ihrer Eindrücke in sich innere Erlebnisse. Ein mineralisches, ein pflanzliches und ein tierisches Dasein darf man daher dem Menschen zusprechen.“
Schon in der ersten Betrachtung charakterisiert Steiner hier anhand der Anschauung des Leibes verschiedene Schichten durch die der Mensch mit den Naturreichen verwandt ist. Nimmt man die im Folgenden zitierte spezifisch menschliche Ebene hinzu, entsteht ein „vierstufiges Modell“ des menschlichen Leibes.
„Wie man dem menschlichen Leib die drei Formen des Daseins, die mineralische, die pflanzliche und die tierische, zuspricht, so muss man ihm noch eine vierte, die besondere menschliche, zusprechen. Durch seine mineralische Daseinsform ist der Mensch verwandt mit allem Sichtbaren, durch seine pflanzliche mit allen Wesen, die wachsen und sich fortpflanzen; durch seine tierische mit allen, die ihre Umgebung wahrnehmen und auf Grund äußerer Eindrücke innere Erlebnisse haben; durch seine menschliche bildet er schon in leiblicher Beziehung ein Reich für sich.“
Diese vierstufige Vielschichtigkeit des Leibbegriffes darf nicht mit einem mineralisch materiellen Körperbegriff verwechselt werden.
"Man muss sorgfältig unterscheiden zwischen physischem Leib und mineralischem Leib. Ein physischer Leib ist derjenige, welcher von den physischen Gesetzen beherrscht wird, die man gegenwärtig in dem Mineralreiche beobachtet. Der gegenwärtige physische Menschenleib ist nun nicht bloß von solchen physischen Gesetzen beherrscht, sondern er ist außerdem noch durchsetzt von mineralischem Stoffe. Auf dem Saturn [gemeint ist hier nicht unser heutiger Saturn, sondern der sog. alte Saturn, der ein früherer Entwicklungszustand unserer Erde war] äußerten sich die physischen Gesetze nur durch Wärmewirkungen. Und aus Wärmekörpern besteht der ganze Saturn. Diese Wärmekörper sind die erste Anlage des gegenwärtigen physisch-mineralischen Menschenleibes. Dieser hat sich aus jenem dadurch gebildet, dass dem ersteren sich die später erst gebildeten gasförmigen, flüssigen und festen Stoffe eingegliedert haben."
Im menschlichen Leib finden sich aus der Natur die Elemente der Wärme, des Flüssigen und des Wässrigen, diese sind im Evolutionsgedanken Steiners dem Menschen erst nach und nach eingegliedert worden, wobei die im obigen Zitat verwendeten Qualitäten der Elemente sich immer noch auf immaterielle geistige Schöpfungszyklen der Evolution der Erde beziehen. Man könnte diese Urbilder der Elemente mit den platonischen Körpern und der Schöpfungsgeschichte des Timaios von Plato vergleichen, um ein Verständnis für diese geistigen Zustände der Erde zu gewinnen. Der den Pflanzen verwandte Lebensleib wird dann erst auf der physischen Erde von flüssig-rhythmischen Gesetzmäßigkeiten durchdrungen und der den Tieren verwandte Empfindungsbereich wird durch die Welt der Gefühle beherrscht. Zudem ist die spezifisch aufrechte menschliche Gestalt, bis ins Skelett hinein, erst auf der Erde zu einer durch das Ich geprägten Form geworden. Man könnte so zunächst zwischen einem stofflichen Leib und einem Physischen Leib unterscheiden. Dieser Physische Leib wird von Steiner seinem Urbild nach als eine immaterielle Formgestalt verstanden, die sich erst allmählich durch den Sündenfall und die Äonen der Evolution in eine stofflich materielle für irdische Sinnesorgane sichtbare Qualität verdichtet hat. Diese, leicht misszuverstehende, übersinnliche Formgestalt des physischen Leibes wird von Steiner als „Phantom“ bezeichnet. Diese Bezeichnung kann als ein Urbild, theologisch gesprochen als eine von den Göttern nach ihrem eigenen Bilde geschaffene Gestalt verstanden werden. In dieses „immaterielle“ Urbild hat sich im Laufe großer Evolutionszyklen erst irdische Materie eingelagert.
Der Leib als Gestaltzusammenhang
Steiners individualisierte Verwendung des Begriffs vom Leib erfordert eine Art künstlerischer Betrachtung, weil das Wort Leib flexibel verwendet wird für einen Formzusammenhang.
„Mit «Leib» soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art «Gestalt», «Form» gibt. Man sollte den Ausdruck «Leib» nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung «Leib» auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges gestaltet.“
Der Leib des Menschen als Gesamtzusammenhang wäre demnach eine musikalische Komposition, die aus mehreren Leibern stofflich, lebendig, seelisch und geistig als ein Kunstwerk, ein Bild, als mehrschichtige Struktur der Götter erschaffen worden ist. Dies Abbild Mensch trägt so in sich als Mikrokosmos verwandelt alle Naturreiche. Der Lebensleib hat seine ihm eigene Gestalt, sowie der seelische Leib eine andere, die Gestaltzusammenhänge dieser Leiber sind organisch ineinander verflochten als eine einheitliche Ganzheit.
Das komplexe Ineinanderwirken verschiedener Daseinssphären nennt Steiner die Bildnatur des Menschen. Diese Bildnatur kann nicht mit analytischen Denkformen erfasst werden. Sofern man das nur äußere, auf physische Gesetzmäßigkeiten gerichtete naturwissenschaftliche Denken auf die Betrachtung des Menschen anwendet, werden für die ganze Menschenwesenheit entscheidende Ebenen ausgeklammert.
Diese Reduktion als Sichtweise materialistischer Naturwissenschaft versucht Steiner dort anzuerkennen, wo es sachgemäß am Platz ist, in wichtigen Bereichen erweitert er diese Sichtweise aber durch weiterführende Begriffsbildungen. Eines dieser Denkmodelle ist die oben genannte Bildnatur des Menschen. Die Verwendung des längeren Zitates soll möglichst nah am Werk Steiners in das Problem einführen.
„Es kommt viel darauf an, dass durch die Anthroposophie begriffen werde, wie die Vorstellungen, die der Mensch im Anblicke der äußeren Natur gewinnt, vor der Menschenbetrachtung Halt machen müssen. Gegen diese Forderung sündigt die Denkungsart, die durch die geistige Entwickelung der letzten Jahrhunderte in die Menschengemüter eingezogen ist. Durch sie gewöhnt man sich, Naturgesetze zu denken; und durch diese Naturgesetze erklärt man sich die Naturerscheinungen, die man mit den Sinnen wahrnimmt. Man sieht nun nach dem menschlichen Organismus hin und betrachtet auch diesen so, wie wenn seine Einrichtung begriffen werden könnte, wenn man die Naturgesetze auf ihn anwendet. Das ist nun gerade so, als ob man das Bild, das ein Maler geschaffen hat, betrachtete nach der Substanz der Farben, nach der Kraft, mit der die Farben an der Leinwand haften, nach der Art, wie sich diese Farben auf die Leinwand streichen lassen, und nach ähnlichen Gesichtspunkten. Aber mit alledem trifft man nicht, was sich in dem Bilde offenbart. In dieser Offenbarung, die durch das Bild da ist, leben ganz andere Gesetzmäßigkeiten als diejenigen, die aus den angegebenen Gesichtspunkten gewonnen werden können. Es kommt nun darauf an, sich darüber klar zu werden, dass sich auch in der menschlichen Wesenheit etwas offenbart, das von den Gesichtspunkten, von denen aus die Gesetze der äußeren Natur gewonnen werden, nicht zu ergreifen ist. Hat man diese Vorstellung in der rechten Art sich zu eigen gemacht, dann wird man in der Lage sein, den Menschen als Bild zu begreifen. Ein Mineral ist in diesem Sinne nicht Bild. Es offenbart nur dasjenige, was unmittelbar die Sinne wahrnehmen können. Beim Bilde richtet sich die Anschauung gewissermaßen durch das sinnlich Angeschaute hindurch auf einen Inhalt, der im Geiste erfasst wird... Man muss eben eine andere Empfindung haben, wenn man mit den Naturgesetzen einem Mineralischen, und eine andere, wenn man dem Menschen gegenübersteht.“
Hier ist deutlich auf die andere Empfindung und Denkweise hingewiesen, wie man die Anschauung gegenüber dem menschlichen Leib erweitern muss, um die vielschichtigen Dimensionen des Menschen überhaupt erst in den Blick zu bekommen. Die Erkenntnis des von rhythmischen Vorgängen und Gesetzen bestimmten Lebensleibes erfordert schon eine andere Art der Erkenntnis als die physisch, analytische Untersuchung von mineralisch, materiellen Substanzen. Im weiteren Verlauf des Zitates wird eine für die leibliche Wesenheit des Menschen zentrale Entdeckung Steiners zur Sprache gebracht ohne die das Menschenbild der Waldorfpädagogik kaum erhellt werden kann. Die Dreigliederigkeit der menschlichen Leibesorganisation soll an dieser Stelle wenigstens im Zusammenhang mit der Frage nach dem Leib erwähnt werden, weil die dreiteilige Zuordnung der Sinnesorganisation, die im nächsten Kapitel kurz beschrieben wird, verständlicher werden kann. Künstlerisch formal betrachtet kann die, in sich zur Kugel abgeschlossene, Form des Hauptes als Zentrum der Nervensinnesorganisation als Polarität zum Stoffwechselgliedmaßen System beschrieben werden. Die Willensorganisation in der Anthropologie Steiners wird als Zentrum der Bewegungs- und Wärmeprozesse aufgefasst. Dazwischen fungiert das rhythmische System als Atemrhythmus und Blutkreislauf. Diesen Organsystemen sind die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens zugeordnet.
Die Sinne des Menschen
Die Sinne des Menschen sind mit Bezug auf die Organisation der Leiblichkeit des Menschen von zentraler Bedeutung für Fragen zur Ästhetik. Sinnliche Wahrnehmung oder die Wahrnehmung von Sinn bleiben die zentralen Kategorien für die Betrachtung von Kunst. Die Funktion der Sinnesorgane vermittelt, je nach individuellem Menschen, eine ganz bestimmte Qualität der Sinneswahrnehmung. Aus den Sinneswahrnehmungen bildet sich das Sinnesempfinden und dieses wird an die Innenwelt des Menschen vermittelt. Diese Innenwelt der Seele wird zunächst in den ersten Kapiteln der Theosophie ganz schlicht als seelische Wesenheit bezeichnet und von der leiblichen Wesenheit der physischen Gestalt des Menschen unterschieden. Die Bewusstwerdung der Empfindung des Roten kann niemand mehr durch äußere Sinne wahrnehmen. Diese mit Bewusstsein durchdrungene Sinnesempfindung wird in einem ersten Schritt als Seelisches charakterisiert. An die Sinnesempfindung schließt sich die Welt der Gefühle der Lust und Unlust. Diese innere Welt der Gefühle kann man deutlich von der äußeren Welt der Sinneseindrücke als eine zweite Welt unterscheiden. Die leibliche Wesenheit bildet die Grundlage für die seelische Wesenheit.
Der Mensch kann seine Aufmerksamkeit der Wahrnehmung nicht nur auf die Außenwelt richten, sondern auch auf das Innere seiner Leiblichkeit. Mehrere der im Folgenden von Steiner beschriebenen Sinne haben einen starken Bezug zu diesem inneren Empfinden. Herrmann Schmitz verwendet an dieser Stelle bei seiner speziellen Leibauffassung den Begriff des Spürens.
Dieses erste Empfinden einer Wahrnehmung beschreibt Steiner in der Theosophie als Empfindungsseele. Diese Empfindungsseele ist durch ihre Verbundenheit mit den Sinnesorganen des physischen Leibes und durch die physische Organisation der jeweils spezifischen Sinnesorgane begrenzt. Andererseits aber zur Bewusstheit und Tiefe der seelischen Welt der Emotionen geöffnet.
„Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll Empfindungsseele heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper. Wenn ein Mensch vor mir steht und ich sehe von seiner Empfindungsseele ab, indem ich ihn mir bloß als physischen Leib vorstelle, so ist das gerade so, als wenn ich mir von einem Gemälde bloß die Leinwand vorstelle.“
Rudolf Steiner erweitert in seiner Sinneslehre, die auch in der üblichen Physiologie bekannten fünf Sinne auf zwölf Sinne. Diese zwölf Sinne sind ausdifferenziert in einer dreigliedrigen Struktur: in obere Sinne, die mehr gedanklich orientiert sind, Gedankensinn, Ichsinn und Wortsinn, dann in mittleren Sinne, die mehr seelische, den fühlenden Menschen ansprechende Qualitäten besitzen, Hörsinn, Sehsinn, Wärmesinn, Geschmackssinn und Geruchssinn und in untere Sinne, die mehr die Willensregion des Menschen umfassen.
Steiners individualisierte Verwendung des Begriffs vom Leib erfordert eine Art künstlerischer Betrachtung, weil das Wort Leib flexibel verwendet wird für einen Formzusammenhang.
„Mit «Leib» soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art «Gestalt», «Form» gibt. Man sollte den Ausdruck «Leib» nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung «Leib» auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges gestaltet.“
Der Leib des Menschen als Gesamtzusammenhang wäre demnach eine musikalische Komposition, die aus mehreren Leibern stofflich, lebendig, seelisch und geistig als ein Kunstwerk, ein Bild, als mehrschichtige Struktur der Götter erschaffen worden ist. Dies Abbild Mensch trägt so in sich als Mikrokosmos verwandelt alle Naturreiche. Der Lebensleib hat seine ihm eigene Gestalt, sowie der seelische Leib eine andere, die Gestaltzusammenhänge dieser Leiber sind organisch ineinander verflochten als eine einheitliche Ganzheit.
Das komplexe Ineinanderwirken verschiedener Daseinssphären nennt Steiner die Bildnatur des Menschen. Diese Bildnatur kann nicht mit analytischen Denkformen erfasst werden. Sofern man das nur äußere, auf physische Gesetzmäßigkeiten gerichtete naturwissenschaftliche Denken auf die Betrachtung des Menschen anwendet, werden für die ganze Menschenwesenheit entscheidende Ebenen ausgeklammert.
Diese Reduktion als Sichtweise materialistischer Naturwissenschaft versucht Steiner dort anzuerkennen, wo es sachgemäß am Platz ist, in wichtigen Bereichen erweitert er diese Sichtweise aber durch weiterführende Begriffsbildungen. Eines dieser Denkmodelle ist die oben genannte Bildnatur des Menschen. Die Verwendung des längeren Zitates soll möglichst nah am Werk Steiners in das Problem einführen.
„Es kommt viel darauf an, dass durch die Anthroposophie begriffen werde, wie die Vorstellungen, die der Mensch im Anblicke der äußeren Natur gewinnt, vor der Menschenbetrachtung Halt machen müssen. Gegen diese Forderung sündigt die Denkungsart, die durch die geistige Entwickelung der letzten Jahrhunderte in die Menschengemüter eingezogen ist. Durch sie gewöhnt man sich, Naturgesetze zu denken; und durch diese Naturgesetze erklärt man sich die Naturerscheinungen, die man mit den Sinnen wahrnimmt. Man sieht nun nach dem menschlichen Organismus hin und betrachtet auch diesen so, wie wenn seine Einrichtung begriffen werden könnte, wenn man die Naturgesetze auf ihn anwendet. Das ist nun gerade so, als ob man das Bild, das ein Maler geschaffen hat, betrachtete nach der Substanz der Farben, nach der Kraft, mit der die Farben an der Leinwand haften, nach der Art, wie sich diese Farben auf die Leinwand streichen lassen, und nach ähnlichen Gesichtspunkten. Aber mit alledem trifft man nicht, was sich in dem Bilde offenbart. In dieser Offenbarung, die durch das Bild da ist, leben ganz andere Gesetzmäßigkeiten als diejenigen, die aus den angegebenen Gesichtspunkten gewonnen werden können. Es kommt nun darauf an, sich darüber klar zu werden, dass sich auch in der menschlichen Wesenheit etwas offenbart, das von den Gesichtspunkten, von denen aus die Gesetze der äußeren Natur gewonnen werden, nicht zu ergreifen ist. Hat man diese Vorstellung in der rechten Art sich zu eigen gemacht, dann wird man in der Lage sein, den Menschen als Bild zu begreifen. Ein Mineral ist in diesem Sinne nicht Bild. Es offenbart nur dasjenige, was unmittelbar die Sinne wahrnehmen können. Beim Bilde richtet sich die Anschauung gewissermaßen durch das sinnlich Angeschaute hindurch auf einen Inhalt, der im Geiste erfasst wird... Man muss eben eine andere Empfindung haben, wenn man mit den Naturgesetzen einem Mineralischen, und eine andere, wenn man dem Menschen gegenübersteht.“
Hier ist deutlich auf die andere Empfindung und Denkweise hingewiesen, wie man die Anschauung gegenüber dem menschlichen Leib erweitern muss, um die vielschichtigen Dimensionen des Menschen überhaupt erst in den Blick zu bekommen. Die Erkenntnis des von rhythmischen Vorgängen und Gesetzen bestimmten Lebensleibes erfordert schon eine andere Art der Erkenntnis als die physisch, analytische Untersuchung von mineralisch, materiellen Substanzen. Im weiteren Verlauf des Zitates wird eine für die leibliche Wesenheit des Menschen zentrale Entdeckung Steiners zur Sprache gebracht ohne die das Menschenbild der Waldorfpädagogik kaum erhellt werden kann. Die Dreigliederigkeit der menschlichen Leibesorganisation soll an dieser Stelle wenigstens im Zusammenhang mit der Frage nach dem Leib erwähnt werden, weil die dreiteilige Zuordnung der Sinnesorganisation, die im nächsten Kapitel kurz beschrieben wird, verständlicher werden kann. Künstlerisch formal betrachtet kann die, in sich zur Kugel abgeschlossene, Form des Hauptes als Zentrum der Nervensinnesorganisation als Polarität zum Stoffwechselgliedmaßen System beschrieben werden. Die Willensorganisation in der Anthropologie Steiners wird als Zentrum der Bewegungs- und Wärmeprozesse aufgefasst. Dazwischen fungiert das rhythmische System als Atemrhythmus und Blutkreislauf. Diesen Organsystemen sind die Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens zugeordnet.
Die Sinne des Menschen
Die Sinne des Menschen sind mit Bezug auf die Organisation der Leiblichkeit des Menschen von zentraler Bedeutung für Fragen zur Ästhetik. Sinnliche Wahrnehmung oder die Wahrnehmung von Sinn bleiben die zentralen Kategorien für die Betrachtung von Kunst. Die Funktion der Sinnesorgane vermittelt, je nach individuellem Menschen, eine ganz bestimmte Qualität der Sinneswahrnehmung. Aus den Sinneswahrnehmungen bildet sich das Sinnesempfinden und dieses wird an die Innenwelt des Menschen vermittelt. Diese Innenwelt der Seele wird zunächst in den ersten Kapiteln der Theosophie ganz schlicht als seelische Wesenheit bezeichnet und von der leiblichen Wesenheit der physischen Gestalt des Menschen unterschieden. Die Bewusstwerdung der Empfindung des Roten kann niemand mehr durch äußere Sinne wahrnehmen. Diese mit Bewusstsein durchdrungene Sinnesempfindung wird in einem ersten Schritt als Seelisches charakterisiert. An die Sinnesempfindung schließt sich die Welt der Gefühle der Lust und Unlust. Diese innere Welt der Gefühle kann man deutlich von der äußeren Welt der Sinneseindrücke als eine zweite Welt unterscheiden. Die leibliche Wesenheit bildet die Grundlage für die seelische Wesenheit.
Der Mensch kann seine Aufmerksamkeit der Wahrnehmung nicht nur auf die Außenwelt richten, sondern auch auf das Innere seiner Leiblichkeit. Mehrere der im Folgenden von Steiner beschriebenen Sinne haben einen starken Bezug zu diesem inneren Empfinden. Herrmann Schmitz verwendet an dieser Stelle bei seiner speziellen Leibauffassung den Begriff des Spürens.
Dieses erste Empfinden einer Wahrnehmung beschreibt Steiner in der Theosophie als Empfindungsseele. Diese Empfindungsseele ist durch ihre Verbundenheit mit den Sinnesorganen des physischen Leibes und durch die physische Organisation der jeweils spezifischen Sinnesorgane begrenzt. Andererseits aber zur Bewusstheit und Tiefe der seelischen Welt der Emotionen geöffnet.
„Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll Empfindungsseele heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper. Wenn ein Mensch vor mir steht und ich sehe von seiner Empfindungsseele ab, indem ich ihn mir bloß als physischen Leib vorstelle, so ist das gerade so, als wenn ich mir von einem Gemälde bloß die Leinwand vorstelle.“
Rudolf Steiner erweitert in seiner Sinneslehre, die auch in der üblichen Physiologie bekannten fünf Sinne auf zwölf Sinne. Diese zwölf Sinne sind ausdifferenziert in einer dreigliedrigen Struktur: in obere Sinne, die mehr gedanklich orientiert sind, Gedankensinn, Ichsinn und Wortsinn, dann in mittleren Sinne, die mehr seelische, den fühlenden Menschen ansprechende Qualitäten besitzen, Hörsinn, Sehsinn, Wärmesinn, Geschmackssinn und Geruchssinn und in untere Sinne, die mehr die Willensregion des Menschen umfassen.
[2] https://anthrowiki.at/Sinne#Grundprinzipien_der_anthroposophischen_Sinneslehre
Die unteren Sinne Bewegungssinn, Gleichgewichtssinn, Lebenssinn und Tastsinn können als die Leibessinne bezeichnet werden. Aus den oberen Sinnen entstehen durch weitere Entwicklung des Menschen, die von Rudolf Steiner als übersinnliche Sinne bezeichneten Organe: Imagination, Inspiration und Intuition. Diese übersinnlichen Sinne sind aber als Erweiterung der hier beschriebenen 12 Sinne zu verstehen. Die oberen Sinnestätigkeiten Wort- Gedanken- und Ichsinn sind soziale Sinne, da sie direkt mit der Wahrnehmung des anderen Menschen zu tun haben. Im Zusammenhang mit den Darstellungen des Philosophen Waldenfels werde ich versuchen einige Gemeinsamkeiten mit dessen Forschungsergebnissen zu Steiners Darstellungen zu berühren.
Die mittleren Sinne, die mehr zur Außenwelt gerichtet sind, erschließen dem Menschen durch den Sehsinn einen Umkreis des Raumes und vor allem die Qualität der Farbenwelt. Der Hörsinn verbindet den Menschen mit der Welt der Töne. Auge und Ohr sind die Sinne, die von einer Seite hergesehen, den meisten Kulturtechniken wie Schreiben, Lesen und Rechnen etc. als gesunde Basis dienen. Der Geruchssinn wie auch der Geschmackssinn dringen schon in gewisser Weise durch ihre Intensität in den Menschen ein und vermitteln wiederum eher innerliche Erlebnisse. Der Wärmesinn nimmt eine zentrale Stellung ein, er ist über die Haut des ganzen Körpers ausgegossen und reagiert sensibel auf die feinsten Temperaturschwankungen. Wir können schon bei einer Körpertemperatur von 32 Grad keiner normalen Tätigkeit mehr nachgehen, Kälte lähmt uns und bei einer Erwärmung des eigenen Körpers schon ab 38 oder 39 Grad ist eine geregelte Tätigkeit nur noch schwer möglich; Wärme betäubt uns. Diese empfindliche Temperaturbalance um 37,5 Grad, vermittelt vor allem durch die Blutwärme, gibt der Seele des Menschen die Möglichkeit sich im Gleichgewicht mit dem Körper aktiv zu betätigen.
Die mittleren Sinne sind einerseits mehr auf die Außenwelt bezogen, andererseits mehr nach innen gerichtet. So haben sie eine zwischen innerer Empfindungswelt und äußerer Sinnenwelt vermittelnde Aufgabe.
Das Ich wirkt in jedem Wahrnehmungsvorgang dieser mittleren Sinne mit seinen gerichteten Intentionen mehr oder weniger bewusst. Die Leibessinne sind tiefer im Unterbewusstsein verankert. Die oberen Sinne sind nur durch bewusste Tätigkeit zu erfahren. Durch vertiefte Übung können auch unbewusste Sinne erweckt werden. Ein Tänzer hat gewiss seinen Gleichgewichtssinn wacher entwickelt als ein Wissenschaftler.
Die Erfahrung der Sinne kann sicher nicht, wie hier beschrieben, so analytisch aufzählend vorgestellt werden, sondern sie erscheint bei vertiefter Betrachtung als ein subtil ineinander verflochtener Organismus.
Die unteren Sinne bestehend aus Gleichgewichtssinn, Bewegungssinn, Lebenssinn und Tastsinn sind ein in sich vernetzter Organismus, der mehr im Inneren Leib des Menschen sich konstituiert. Besonders der Gleichgewichtssinn hat in Verbindung mit dem Bewegungssinn eine direkte Beziehung zur Ich-Organisation des Menschen. Wie sich ein Mensch in die Welt des Raumes hineinstellt oder mit seinem Leib immer wieder um die Aufrichte herum sich orientiert, zeigt wie der Mensch im Raum lebt. Das Ich durchwirkt fortwährend in einer komplexen Tätigkeit alle Sinne. Das Zusammenwirken ermöglicht erst dem Ich eine harmonische, im wahrsten Sinne des Wortes, Sinn stiftende Beziehung zur Welt.
Dieses Leibliche Dasein in der Welt hat die gegenwärtige Leibphilosophie zum Ausgangspunkt für ihre Untersuchungen genommen. Die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen insgesamt ist ein Ausgangspunkt der Phänomenologie geworden.
Der Begriff der Ästhetik als sinnliche Wahrnehmung und einer „anderen“ Form von Erkenntnis sollte an dieser Stelle kurz geklärt werden. Mit Ästhetik ist hier nicht die Kunstbeurteilung des 18.Jahrhunderts oder eine Form der rhetorischen Rede und intellektuellen Erkenntnis gemeint. Mit sinnlicher Wahrnehmung kann im Bedeutungsrahmen der Ästhetik keine auf Sinnesdaten reduzierte rein messbare Wahrnehmungsqualität gemeint sein. Die sinnliche Wahrnehmung kann im Sinne einer erweiterten Phänomenologie, die Emotionalität und das Imaginative umfassen. Legt man diese Bedeutungsperspektive der Ästhetik zugrunde, kann der Denkansatz Steiners in der Theosophie mit Bezug auf seine kulturgeschichtliche Bedeutung als ein früher Entwurf einer ästhetischen Anthropologie gelesen werden. Denn eine reduzierte Betrachtung des Menschen, die nur die physische „Leinwand“ untersucht kann die tiefen Schichten, einer zunächst nicht mehr mit äußeren Sinnen erfassbaren Wirklichkeit des Menschen nur unzureichend erkennen. Die Unterbewussten emotionalen Regionen des Menschen aber allein in das subjektive Gebiet des künstlerischen Empfindens zu verdrängen, würde bedeuten seelisch exakter Beobachtung die Wissenschaftlichkeit abzusprechen. In dieser Art wird den Erkenntnisansätzen Steiners immer wieder die Wissenschaftlichkeit abgesprochen. Es handelt sich bei Steiner um einen erweiterten Wissenschaftsbegriff, der auf Untersuchungen an den naturwissenschaftlichen Schriften von Goethe zurück geht. Goethe hat eine Phänomenologie entwickelt, die er als zarte Empirie bezeichnet.
Das wesenhafte der Erscheinung wird in den Sinneswahrnehmungen als „wahr“ direkt durch eine bestimmte Methodik erfasst. Die Methode kann man in Goethes Aufsatz „Der Versuch als Vermittler zwischen Subjekt und Objekt“ studieren. Sinnliche Wahrnehmung ist kein Messapparat, der wie eine Maschine Daten aufzeichnet, sondern in jeder Forschungsfrage, die auf empirischer Beobachtung beruht, ist immer die subjektiv-emotionale Perspektive des Forschers mit zu reflektieren. In jeder Wahrnehmung schwingen seelisch-geistige und physisch-körperliche Qualitäten fortwährend ineinander. Sie sind zu einer Einheit vermählt. Seelische Beobachtung im Sinne einer Phänomenologie bedeutet, die Gefühls- und Willensebenen des Menschen in den Erkenntnisprozess bewusst mit einzubeziehen.
Die seelische Beobachtung versucht bewegliche Begriffe zu entwickeln, für die Wahrnehmung des Denkprozesses und der sinnlichen Wahrnehmungen. So kann eine phänomenologische Beobachtung den Zusammenhang von Wahrnehmung und Empfindungen mit Erkenntnis durchdringen. Was für die ästhetische Erkenntnis eine wichtige Rolle spielt. Wie entsteht anhand der Wahrnehmung Rot eine bewusste Empfindung? Die ästhetische Erkenntnis vor allem mit Bezug auf die Kulturanthropologie hat in den letzten Jahrzehnten hier eine Brücke gebaut, um ein Verständnis des Menschen zu entwickeln, welches der ganzheitlichen Anschauung Steiners nahekommt. Geistiges und Physisches werden hier nicht als zwei duale Prinzipien verstanden, die beziehungslos nebeneinander existieren, sondern als zwei fortwährend ineinander wirkende Kräfte, die als verkörperter Geist und als vergeistigter Körper ineinanderwirken. Die Subjekt- Objekt Spaltung wie sie in einer bestimmten Ausrichtung wissenschaftlicher Erkenntnis immer noch existiert, ist in den letzten Jahren ins Wanken geraten. Viele wissenschaftliche Ansätze suchen erweiterte Erkenntnisansätze, wie sie Steiner schon um die Jahrhundertwende formuliert hat.
Adorno und die Somatizität der Imagination
Ein Zusammenhang von ästhetischer Erfahrung und Embodiment liegt in der Somatizität der Imagination. Adorno, wie andere Autoren auch, kommen bei der Betrachtung der Imagination wiederholt auf deren körperliche Wurzeln zu sprechen.
Was heißt aber die körperliche Seite der Imagination? Die ästhetische Erfahrung im künstlerischen Schaffen und dem kontemplativen Betrachten der Kunst erfordert eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf die zunächst eher im Verborgenen inneren Sinne, die im Willen wirkenden unteren Sinne Gleichgewicht, Eigenbewegungssinn, Tastsinn, Lebensinn. Das Zusammenspiel der mehr im Gefühl präsenten Sinne für Wärme, Sehen, Geschmack, Geruch, vermittelt innere und äußere Welt? Während Gedankensinn, Gehör, Ichsinn und Wortsinn zu den vorstellungshaften im Denken situierten Qualitäten tendieren.
Adorno thematisiert ein Denken des Nichtidentischen welches sich körperlich- kontextuell und als kritisch reflektiertes Denken erkennt. Darauf weist Adorno hin, wenn er vom „Somatischen“ aus dem Grund jeglicher Erkenntnis spricht und wenn er die poetischen Bewegungen der Begriffskonstellation als subjektive Rekonstruktion der im Gegenstand sedimentierten Geschichte beschreibt. (Buschkühle „Sie Welt als Spiel “Seite 161 Siehe Register I )
Leib und Körper verweisen auf eine Differenz. In der ästhetischen Theorie von Adorno wird Körper als „somatischer Grund jeglicher Erkenntnis“ bezeichnet.
Wir sehen unser Antlitz oder unseren Rücken selbst nicht von außen. Wir erleben uns von innen und teilweise gleichzeitig von außen, ich sehe meinen Körper als ein Ding im Raum nur teilweise und bin mein Leib von innen her als Schmerz oder Wohlsein. Husserls bekanntes Beispiel der beiden Finger einer Hand, die sich berühren weisen auf das Problem, ich bin der Berührte und der Berührende. (siehe Cluster II Theorie) [10]
Ein Zusammenhang von ästhetischer Erfahrung und Embodiment liegt in der Somatizität der Imagination. Adorno, wie andere Autoren auch, kommen bei der Betrachtung der Imagination wiederholt auf deren körperliche Wurzeln zu sprechen.
Was heißt aber die körperliche Seite der Imagination? Die ästhetische Erfahrung im künstlerischen Schaffen und dem kontemplativen Betrachten der Kunst erfordert eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf die zunächst eher im Verborgenen inneren Sinne, die im Willen wirkenden unteren Sinne Gleichgewicht, Eigenbewegungssinn, Tastsinn, Lebensinn. Das Zusammenspiel der mehr im Gefühl präsenten Sinne für Wärme, Sehen, Geschmack, Geruch, vermittelt innere und äußere Welt? Während Gedankensinn, Gehör, Ichsinn und Wortsinn zu den vorstellungshaften im Denken situierten Qualitäten tendieren.
Adorno thematisiert ein Denken des Nichtidentischen welches sich körperlich- kontextuell und als kritisch reflektiertes Denken erkennt. Darauf weist Adorno hin, wenn er vom „Somatischen“ aus dem Grund jeglicher Erkenntnis spricht und wenn er die poetischen Bewegungen der Begriffskonstellation als subjektive Rekonstruktion der im Gegenstand sedimentierten Geschichte beschreibt. (Buschkühle „Sie Welt als Spiel “Seite 161 Siehe Register I )
Leib und Körper verweisen auf eine Differenz. In der ästhetischen Theorie von Adorno wird Körper als „somatischer Grund jeglicher Erkenntnis“ bezeichnet.
Wir sehen unser Antlitz oder unseren Rücken selbst nicht von außen. Wir erleben uns von innen und teilweise gleichzeitig von außen, ich sehe meinen Körper als ein Ding im Raum nur teilweise und bin mein Leib von innen her als Schmerz oder Wohlsein. Husserls bekanntes Beispiel der beiden Finger einer Hand, die sich berühren weisen auf das Problem, ich bin der Berührte und der Berührende. (siehe Cluster II Theorie) [10]
Kunst, Philosophie und der heutige Genderdiskurs thematisieren seit Jahrtausenden die Darstellung des Menschen. Die Fähigkeit symbolhafte Bildwerke vom Menschen zu erschaffen, gilt als Beginn der kulturellen Tätigkeit. Vor 30000 Jahren gab es, neben anderen Hominiden spezielle Menschen, die Kulte feierten und Musikinstrumente aus den Knochen eines Schwanes fertigen konnten. Cassiers Animal Symbolikon betritt die Weltbühne der Geschichte. Das Fruchtbarkeitssymbol des weiblichen Leibes, der Ursprung des Lebens kehrt immer wieder. Venusfiguren aus den ältesten Kulten der sakralen Kunst feiern ihre Wiederkehr bis in die Gegenwart. Es scheint, dass die Künstler bis zum Ende der Menschheit dieses Wunder der Erscheinung, vor allem des weiblichen Leibes, verherrlichen. Die Mutter Erde, die Fruchtbarkeit des Lebens fließt in der Harmonie der weiblichen Formen, die Musik der Venus im Einklang mit dem Traum des Lebens. Die Venus von Tizian, die Odaliske des Ingres, die Olympia des Manet, das gleiche Sujet in wechselnden Erscheinungen. Die Kunst feiert gleichsam das Leben im weiblichen Leib.
Die Faszination für die künstlerische Darstellung der menschlichen Gestalt inspiriert die Künstler seit Jahrtausenden dazu ein Bildwerk von sich selbst und anderen zu kreieren. Was heißt aber Leib und was Körper? In der Moderne wird, nach den Jahrhunderten seit der Renaissance, welche einen Schwerpunkt auf die exakte anatomische äußere Darstellung des Körpers richtete, eine introspektive Sicht auf den Leib gesucht? (siehe Kunstwerke und Körper)
Exkurs 2 Historische Aspekte zum Leib um 1900
Oftmals haben Schüler sonderlich Schülerinnen in den Klassen der Oberstufe ein besonderes Interesse daran künstlerische Darstellungen des menschlichen Körpers realsistisch zu ergreifen. Seit der Renaissance stellten die Künstler den Körper in seiner Ausdruckskraft in anatomisch genauen Abbildungen dar. Zeichnungen und Ölmalerei sind beliebt, wie wenn das Auge in Koordination mit einer handwerklich genauen Darstellung, gerade auch trotz der zunehmenden Fülle der Virtualität visueller Eindrücke, sich behaupten möchte in der Fähigkeit, die Welt haptisch materiell konkret zu erfahren. Oft bevorzugen Jugendliche dabei symbolistische Darstellungen, die gerade emotional pathetische Gesten beinhalten. Die darstellung des schönen Körpers in einer idealen klassischen Darstellung hat nicht unbedingt einen Bezug zur Kunst der Gegenwart, die zu extremen Überschreitungen tendiert, aber stellen über die künstlerische Darstellung des Körper einen Kontakt zu ihrer eigenen Leiblichkeit her. Den Körper in seiner Gestalt zeichnend und malend zu erfassen bedeutet, in gewisser Weise sich seines eigenen Körpers zu vergewissern. Die physische Existenz des leiblich körperlichen Dasein kommt mit 18 Jahren zu einer Ausformung, in der Menschen beginnen ihr Leben zu gestalten.
Nietzsche Todesjahr markiert eine Zäsur im kulturellen Leben Europas, viele seiner Gedanken leben in den Malern, Schriftstellern und Musikern nach und fordern dazu heraus alle bisher gültigen Werte in Kunst und Moral neu zu hinterfragen. Ein Bild vom Menschen zersplittert bis in die Gegenwart auf in eine unübersichtliche Multiperspektivität, unterschiedlichste Anschauungen über den Menschen wirken sich aus auf Ideologien und grausamste Totalitarismen. Um 1900 entstanden in vielen Bereichen der Kultur Bestrebungen in Kunst und Wissenschaft den menschlichen Körper neu zu entdecken. Sei es die Bewegung der Vegetarier, die Befürworter der Licht- und Luftbäder oder die Lebensreformbewegung ganz allgemein. Angesichts des „Unterganges“ der Bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts versuchten vor allem die Künstler aus dem Geiste des Jugendstiles in der Freizügigkeit der Körperdarstellung neue Lebensentwürfe in Bezug auf die Anschauungen des Körpers zu entdecken. Der Körper trat im Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft zu dieser Zeit in seiner nackten Gestalt in das Bewusstsein, diese neue Sicht auf Körper spiegelte sich etwa in der Befreiung der Frau aus dem Korsett.
Nietzsches Leben und sein Werk waren für viele Künstler ein wichtiger Bezugspunkt, denn es stand für eine radikale Veränderung aller Kulturbereiche, die in den Traditionen des neunzehnten Jahrhunderts gefangen waren. Das Chaos des ersten Weltkrieges, ein von Auf- und Umbrüchen gekennzeichnetes Jahrhundert warf seine Schatten voraus. Nietzsches Zitat trägt in sich die ganze Ambivalenz des Themas: der Leib als mächtiger Weiser und Gebieter wird einem religiös-dogmatischen, einem metaphysischen Begriff von Geist und Selbst gegenübergestellt. Das Selbst wird mit dem Leib identifiziert, mit dem Übermenschen, welcher eine neue Ära einer elitären lebenszugewandten Menschenspezies begründen sollte. In vielen idealen Körperdarstellungen wurde innerhalb der Lebensreformbewegung dem neuen Körper und Lebensgefühl Ausdruck verliehen. Die Anschauung des Körpers kommt zu dieser Zeit erneut in das Bewusstsein der Geschichte, man denke etwa an die Aktdarstellungen der Expressionisten wie den Malern der Brücke.100 Jahre später würden diese Künstler in Zeiten von #MeToo für sexuellen Missbrauch ins Gefängnis wandern.
Von den Nationalsozialisten wurde diese Erneuerungsbewegung missbraucht und umgedeutet zu dem Mythos des Ariers. Der physische Körper war nur noch ein höher entwickeltes Tier, welches man durch die Kreuzung von blonden Ariern und reinen germanischen Frauen züchten konnte. Das Blut und die physische Vererbung waren das wesentliche Kriterium für die Anschauung des Menschlichen Körpers. Eine materialistische Anschauung, welche den Menschen als ein höher entwickeltes Tier auffasst, bleibt auch in vielen Kreisen reduktionistischer Wissenschaft präsent, Menschen können, mittels gentechnischer Optimierung, biologisch gezüchtet werden. Von einer überlebensfähigeren Rasse von Cyborgs träumen heute transhumanistische Weltanschauungen, welche Biopolitik mit einer totalitären Gesellschaft verbinden. Big Data werden im chinesischen Entwurf eines perfekten Staates zugunsten einer schönen neuen Welt schon längst operationalisiert. Menschenbilder sind vulnerabel und fragil geworden. Vom Homo Pictor bis zur Umsiedlung auf einen fremden Planeten scheint es nur ein kleiner Sprung zu sein.
Rudolf Steiners 1920 begründete Waldorfpädagogik macht den Versuch an eine Betrachtung anzuknüpfen, die geistige und seelische Dimensionen des menschlichen Leibes umfasst, wie oben ausgeführt, kann diese poetische Lesart gerade für ästhetisch künstlerische Prozesse in der kunstpädagogischen Praxis hilfreich sein, um sensible Bildungsprozesse, wie sie in meiner Studie Band „Mit dem Leben Verbinden“ beschrieben worden sind, in den Blick zu bekommen.
Oftmals haben Schüler sonderlich Schülerinnen in den Klassen der Oberstufe ein besonderes Interesse daran künstlerische Darstellungen des menschlichen Körpers realsistisch zu ergreifen. Seit der Renaissance stellten die Künstler den Körper in seiner Ausdruckskraft in anatomisch genauen Abbildungen dar. Zeichnungen und Ölmalerei sind beliebt, wie wenn das Auge in Koordination mit einer handwerklich genauen Darstellung, gerade auch trotz der zunehmenden Fülle der Virtualität visueller Eindrücke, sich behaupten möchte in der Fähigkeit, die Welt haptisch materiell konkret zu erfahren. Oft bevorzugen Jugendliche dabei symbolistische Darstellungen, die gerade emotional pathetische Gesten beinhalten. Die darstellung des schönen Körpers in einer idealen klassischen Darstellung hat nicht unbedingt einen Bezug zur Kunst der Gegenwart, die zu extremen Überschreitungen tendiert, aber stellen über die künstlerische Darstellung des Körper einen Kontakt zu ihrer eigenen Leiblichkeit her. Den Körper in seiner Gestalt zeichnend und malend zu erfassen bedeutet, in gewisser Weise sich seines eigenen Körpers zu vergewissern. Die physische Existenz des leiblich körperlichen Dasein kommt mit 18 Jahren zu einer Ausformung, in der Menschen beginnen ihr Leben zu gestalten.
Nietzsche Todesjahr markiert eine Zäsur im kulturellen Leben Europas, viele seiner Gedanken leben in den Malern, Schriftstellern und Musikern nach und fordern dazu heraus alle bisher gültigen Werte in Kunst und Moral neu zu hinterfragen. Ein Bild vom Menschen zersplittert bis in die Gegenwart auf in eine unübersichtliche Multiperspektivität, unterschiedlichste Anschauungen über den Menschen wirken sich aus auf Ideologien und grausamste Totalitarismen. Um 1900 entstanden in vielen Bereichen der Kultur Bestrebungen in Kunst und Wissenschaft den menschlichen Körper neu zu entdecken. Sei es die Bewegung der Vegetarier, die Befürworter der Licht- und Luftbäder oder die Lebensreformbewegung ganz allgemein. Angesichts des „Unterganges“ der Bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts versuchten vor allem die Künstler aus dem Geiste des Jugendstiles in der Freizügigkeit der Körperdarstellung neue Lebensentwürfe in Bezug auf die Anschauungen des Körpers zu entdecken. Der Körper trat im Kontrast zur bürgerlichen Gesellschaft zu dieser Zeit in seiner nackten Gestalt in das Bewusstsein, diese neue Sicht auf Körper spiegelte sich etwa in der Befreiung der Frau aus dem Korsett.
Nietzsches Leben und sein Werk waren für viele Künstler ein wichtiger Bezugspunkt, denn es stand für eine radikale Veränderung aller Kulturbereiche, die in den Traditionen des neunzehnten Jahrhunderts gefangen waren. Das Chaos des ersten Weltkrieges, ein von Auf- und Umbrüchen gekennzeichnetes Jahrhundert warf seine Schatten voraus. Nietzsches Zitat trägt in sich die ganze Ambivalenz des Themas: der Leib als mächtiger Weiser und Gebieter wird einem religiös-dogmatischen, einem metaphysischen Begriff von Geist und Selbst gegenübergestellt. Das Selbst wird mit dem Leib identifiziert, mit dem Übermenschen, welcher eine neue Ära einer elitären lebenszugewandten Menschenspezies begründen sollte. In vielen idealen Körperdarstellungen wurde innerhalb der Lebensreformbewegung dem neuen Körper und Lebensgefühl Ausdruck verliehen. Die Anschauung des Körpers kommt zu dieser Zeit erneut in das Bewusstsein der Geschichte, man denke etwa an die Aktdarstellungen der Expressionisten wie den Malern der Brücke.100 Jahre später würden diese Künstler in Zeiten von #MeToo für sexuellen Missbrauch ins Gefängnis wandern.
Von den Nationalsozialisten wurde diese Erneuerungsbewegung missbraucht und umgedeutet zu dem Mythos des Ariers. Der physische Körper war nur noch ein höher entwickeltes Tier, welches man durch die Kreuzung von blonden Ariern und reinen germanischen Frauen züchten konnte. Das Blut und die physische Vererbung waren das wesentliche Kriterium für die Anschauung des Menschlichen Körpers. Eine materialistische Anschauung, welche den Menschen als ein höher entwickeltes Tier auffasst, bleibt auch in vielen Kreisen reduktionistischer Wissenschaft präsent, Menschen können, mittels gentechnischer Optimierung, biologisch gezüchtet werden. Von einer überlebensfähigeren Rasse von Cyborgs träumen heute transhumanistische Weltanschauungen, welche Biopolitik mit einer totalitären Gesellschaft verbinden. Big Data werden im chinesischen Entwurf eines perfekten Staates zugunsten einer schönen neuen Welt schon längst operationalisiert. Menschenbilder sind vulnerabel und fragil geworden. Vom Homo Pictor bis zur Umsiedlung auf einen fremden Planeten scheint es nur ein kleiner Sprung zu sein.
Rudolf Steiners 1920 begründete Waldorfpädagogik macht den Versuch an eine Betrachtung anzuknüpfen, die geistige und seelische Dimensionen des menschlichen Leibes umfasst, wie oben ausgeführt, kann diese poetische Lesart gerade für ästhetisch künstlerische Prozesse in der kunstpädagogischen Praxis hilfreich sein, um sensible Bildungsprozesse, wie sie in meiner Studie Band „Mit dem Leben Verbinden“ beschrieben worden sind, in den Blick zu bekommen.
Exkurs 3 Leib in der Kunst
….. wie die Bildnatur des Leibes innerhalb der unmittelbaren Beobachtung eines Schülers und dessen Werken der Malerei und Zeichnung sich spiegelt. Auch an Werken der Kunst, die diesen symbolhaften Bildcharakter in noch stärkerem Maße aufweisen, welchen Steiner gegenüber der Betrachtung des Menschen darstellt, möchte ich eine sprachliche Annäherung versuchen, um die vierfache Leibesstruktur, welche in der Anschauung der äußeren Gestalt stets mitschwingt anzudeuten.
Durch die Jahrhunderte wurde der menschliche Leib immer wieder in unterschiedlichen Formen dargestellt. Das Bildwerk, welches die Künstler vom menschlichen Leib formten, spiegelt auf der einen Seite den Zeitgeist des Jahrhunderts, welcher sich in einer bestimmten Leibauffassung ausprägt, andererseits kommt existenziell menschliches Dasein an sich zur Wirkung.
Abbildung 4: Michelangelo, Bachus
Der Bacchus des jungen Michelangelo zeigt äußerlich betrachtet, zunächst bestimmte Formgebärden, eine bestimmte Behandlung der Oberfläche des Marmors, eine bestimmtes Raumvolumen, eine spezielle Farbe und einen Ausdruck der Physiognomie des Gesichts. Man könnte viele Seiten nur mit der Beschreibung der handwerklichen Qualität oder räumlichen Anordnung des Leibes füllen. Die leicht aufgeschwemmte, lasziv, glänzende Haut des trunkenen Gottes wurde zum Beispiel durch ein mattes Licht an der Oberfläche des Steines meisterhaft zur Geltung gebracht. Diese Faktoren können, wie Steiner in den oben genannten Zitaten beschreibt, rein äußerlich physisch darstellt werden. Wir fällen in der ersten Beschreibung Wahrnehmungsurteile, die keinerlei Wertung oder Emotionalität enthalten. Sobald ich aber auf die Ebene eines wertenden Beschreibens wechsele, welches auch meine emotionalen Eindrücke der Leibesgestalt wiedergibt, betrete ich eine Ebene des Erfahrens oder Erlebens, welche im Anschauen auch andere Dimensionen des Leibes wahrzunehmen beginnt. Anhand des originalen Werkes in Florenz kann sich dieses Erleben bis zu einer tiefen Ergriffenheit steigern. Die torkelnde Figur des berauschten Bachus kann mir zum Inbegriff des Lebensgefühls einer schwärmenden Jugend werden oder die Figur beginnt mir das antike Lebensgefühl vergangener Jahrhunderte zu enthüllen. Über das Scheinen der Formen erschließt sich bei vertieftem Betrachten eine ganze Welt der Ideen und symbol-haften Bedeutung menschlicher Existenz. Ausgehend von einer äußeren Anschauung der physischen Gestalt ergibt sich allmählich bei vertiefter Anschauung ein qualitatives Betrachten des Ebenmaßes der wundersam fließenden Form. Das rhythmisch Fließende tritt in den Vordergrund, das harmonisch ineinander Verschlungen sein des eleganten, jugendlichen Leibes beginnt die Sinne zu betören. In diesen Rhythmen des Formenspieles gewahre ich die Welt der Emotionen. Michelangelo versieht seinen jungen Bacchus mit der ganzen überschwänglichen Freude eines schwärmenden Bacchanten. In dieser zu physischem Mineral, zu Stein erstarrten Figur, kann die ganze religiöse Ergriffenheit emportauchen, die den Menschen zu Teil wurde, die am religiösen Kult des Dionysos teilgenommen haben. Die geistige Essenz dieses Kultes kann bei sensibler Betrachtung in diesem großen Werk der europäischen Kunst aufleuchten.
Über die äußere physische Betrachtung, zur Welt der rhythmisch, strömend bewegten Form, hin zu einer heftigen Emotionalität bis zu einer Sphäre geistiger Ideen kann der Symbolgehalt oder die Bildnatur einer solchen Leibdarstellung in der Kunst aufgeschlossen werden.
In der ästhetischen Betrachtung einer sinnlichen Wahrnehmung können sich so ganz differenzierte Qualitäten aussprechen, die das Wesenhafte der Erscheinung zur Geltung bringen. Schönheit kommt bekanntlich von scheinen; an dieser Kunstbetrachtung am Beispiel einer menschlichen Gestalt sollte gezeigt werden, wie im sinnlichen Anschauen immerfort die verschiedenen Stufen des von Steiner beschriebenen mehrschichtigen Leibbegriffes gefunden werden können.
….. wie die Bildnatur des Leibes innerhalb der unmittelbaren Beobachtung eines Schülers und dessen Werken der Malerei und Zeichnung sich spiegelt. Auch an Werken der Kunst, die diesen symbolhaften Bildcharakter in noch stärkerem Maße aufweisen, welchen Steiner gegenüber der Betrachtung des Menschen darstellt, möchte ich eine sprachliche Annäherung versuchen, um die vierfache Leibesstruktur, welche in der Anschauung der äußeren Gestalt stets mitschwingt anzudeuten.
Durch die Jahrhunderte wurde der menschliche Leib immer wieder in unterschiedlichen Formen dargestellt. Das Bildwerk, welches die Künstler vom menschlichen Leib formten, spiegelt auf der einen Seite den Zeitgeist des Jahrhunderts, welcher sich in einer bestimmten Leibauffassung ausprägt, andererseits kommt existenziell menschliches Dasein an sich zur Wirkung.
Abbildung 4: Michelangelo, Bachus
Der Bacchus des jungen Michelangelo zeigt äußerlich betrachtet, zunächst bestimmte Formgebärden, eine bestimmte Behandlung der Oberfläche des Marmors, eine bestimmtes Raumvolumen, eine spezielle Farbe und einen Ausdruck der Physiognomie des Gesichts. Man könnte viele Seiten nur mit der Beschreibung der handwerklichen Qualität oder räumlichen Anordnung des Leibes füllen. Die leicht aufgeschwemmte, lasziv, glänzende Haut des trunkenen Gottes wurde zum Beispiel durch ein mattes Licht an der Oberfläche des Steines meisterhaft zur Geltung gebracht. Diese Faktoren können, wie Steiner in den oben genannten Zitaten beschreibt, rein äußerlich physisch darstellt werden. Wir fällen in der ersten Beschreibung Wahrnehmungsurteile, die keinerlei Wertung oder Emotionalität enthalten. Sobald ich aber auf die Ebene eines wertenden Beschreibens wechsele, welches auch meine emotionalen Eindrücke der Leibesgestalt wiedergibt, betrete ich eine Ebene des Erfahrens oder Erlebens, welche im Anschauen auch andere Dimensionen des Leibes wahrzunehmen beginnt. Anhand des originalen Werkes in Florenz kann sich dieses Erleben bis zu einer tiefen Ergriffenheit steigern. Die torkelnde Figur des berauschten Bachus kann mir zum Inbegriff des Lebensgefühls einer schwärmenden Jugend werden oder die Figur beginnt mir das antike Lebensgefühl vergangener Jahrhunderte zu enthüllen. Über das Scheinen der Formen erschließt sich bei vertieftem Betrachten eine ganze Welt der Ideen und symbol-haften Bedeutung menschlicher Existenz. Ausgehend von einer äußeren Anschauung der physischen Gestalt ergibt sich allmählich bei vertiefter Anschauung ein qualitatives Betrachten des Ebenmaßes der wundersam fließenden Form. Das rhythmisch Fließende tritt in den Vordergrund, das harmonisch ineinander Verschlungen sein des eleganten, jugendlichen Leibes beginnt die Sinne zu betören. In diesen Rhythmen des Formenspieles gewahre ich die Welt der Emotionen. Michelangelo versieht seinen jungen Bacchus mit der ganzen überschwänglichen Freude eines schwärmenden Bacchanten. In dieser zu physischem Mineral, zu Stein erstarrten Figur, kann die ganze religiöse Ergriffenheit emportauchen, die den Menschen zu Teil wurde, die am religiösen Kult des Dionysos teilgenommen haben. Die geistige Essenz dieses Kultes kann bei sensibler Betrachtung in diesem großen Werk der europäischen Kunst aufleuchten.
Über die äußere physische Betrachtung, zur Welt der rhythmisch, strömend bewegten Form, hin zu einer heftigen Emotionalität bis zu einer Sphäre geistiger Ideen kann der Symbolgehalt oder die Bildnatur einer solchen Leibdarstellung in der Kunst aufgeschlossen werden.
In der ästhetischen Betrachtung einer sinnlichen Wahrnehmung können sich so ganz differenzierte Qualitäten aussprechen, die das Wesenhafte der Erscheinung zur Geltung bringen. Schönheit kommt bekanntlich von scheinen; an dieser Kunstbetrachtung am Beispiel einer menschlichen Gestalt sollte gezeigt werden, wie im sinnlichen Anschauen immerfort die verschiedenen Stufen des von Steiner beschriebenen mehrschichtigen Leibbegriffes gefunden werden können.
Literaturverzeichnis:
Fischer-Lichte Ästhetik des Performativen,
Hermann Schmitz Der unerschöpfliche Gegenstand,
Merlau-Ponty Phänomenologie der Wahrnehmung Gruyter Verlag 1966,
Die Lebensreformbewegung Haueser Media Darmstadt,
Steiner, Rudolf Leitsätze GA 26 / Über die Bildnatur des Menschen ,
Steiner, Rudolf Theosophie Die Leibliche Wesenheit des Menschen
[1] Gernot Böhme, Leibsein als Aufgabe, Die Graue Edition, 2003
[2] Ernst Michael Kranich, Der innere Mensch und Sein Leib, Freies Geistesleben, 2003.
[3] Emanuel Alloa, Thomas Bedorf, Christian Grüny, Tobias Klass Hg., Leiblichkeit, Mohr Siebeck UTB, 2012.
[4]https://de.wikipedia.org/wiki/Embodiment
[5] John M. Krois Bildkörper und Körperschema, Schriften zur Verkörperungstheorie ikonischer Formen. S. 77 Die Universalität der Pathosformeln Der Leib als Symbolmedium, Hg. von Horst Bredekamp und Marion Lauschke. Akademie Verlag 2011
[6] „Kann es eine Wissenschaft von Pathosformeln geben? Ja, denn der Körper ist ihre einheitliche Grundlage, aber es gibt keine spezifischen „universellen Pathosformeln“, weil solche Formeln immer an bestimmte Geschichten gebunden sind. Pathosformeln stellen selbst keine Sprache dar, sondern sind eine visuelle symbolische Form, die Pathos sichtbar machen kann, für diejenigen, die den narrativen Zusammenhang des Dargestellten kennen oder durch die gezeigten Gesten zur Erfindung einer Geschichte angeregt werden. Cassirers Formulierung: „das Verhältnis von Leib und Seele stellt das erste Vorbild und Musterbild für eine rein symbolische Relation dar“ bedeutet letztlich: Wir nehmen unseren Leib wie die Welt zunächst nur in Bildern (bzw. ikonische Formen) wahr, deren Identität eine Gefühlsdichtung darstellt.41 Der Bild- begriff lässt sich somit letztlich nicht auf das Gesehene beschränken, sondern stellt eine allgemeine logische Form da. Um diese Formen zu verstehen, brauchen wir eine neue Art Ikonologie.
[7] Waldenfels, Bernhard, Das Leibliche Selbst, Suhrkamp Wissenschaft stw1472
[8] Petra- Maria Meyer, Intuition, Hrsg. Waldenfels Gespür für die Dinge, S. 206
[9] Felt Sense Eugene Gendlin: Focusing. Selbsthilfe bei der Lösung persönlicher Probleme, Otto Müller Verlag, Salzburg 1981
[10] Göbel, Thomas, Die Quellen der Kunst, Lebendige Sinne und Phantasie als Schlüssel zur Architektur. Verlag am Goetheanum, Dornach 1982, S. 11-100
[11]https://www.academia.edu/43663693/Zum_wissenschaftlichen_Selbstverständnis_der_Anthroposophie_Rudolf_Steiners?auto=download&email_work_card=download-paper
[12] Rudolf Steiner, Anthroposophie-Ein Fragment, GA 45
[13] Kritik gegen eine idealistische Form von Identität, wie sie sich in der naiven Sehnsucht nach Schönheit und Ganzheitlichkeit in vielen ideologisch geprägten Trieben der gegenwärtigen anthroposophischen Institutionen findet, erscheint berechtigt, trifft aber nur, wenn man die geistesgegenwärtigen Formen der Fortentwickelung der Erkenntnistheorie Steiners ausklammert. Siehe Register zu Cluster I identität
[14] https://de.wikipedia.org/wiki/Embodiment
[15] Gottfried Boehm, Movens Bild. Zwischen Evidenz und Affekt, Birgit Mersmann, Christian Spies (Hg.) S. 10
[16] HORNUFF, DANIEL: Bildwissenschaft im Widerstreit. Belting, Boehm, Bredekamp, Burda. München Wilhelm Fink 2012 siehe:
Treiber, Elena Chiara: Das Bild als Subjekt? Eine Zusammenfassung der Kritik an Horst Bredekamps THEORIE DES BILDAKTS. In: IMAGE.
Zeitschrift für interdisziplinäre Bildwissenschaft, Jg. 16 (2020), Nr. 2, S. 5-15. DOI: http://dx.doi.org/10.25969/mediarep/16338.
[17] Alloa, Bedorf, Grüny, Klass (Hg.) Leiblichkeit, Mohr, Siebeck, UTB 2012
[18] Francisco Varela, Evan Thompson und Eleanor Rosch The Embodied Mind: Cognitive Science and Human Experience (1991) Deutsch
“Der Mittlere Weg der Erkenntnis. Der Brückenschlag zwischen wissenschaftlicher Theorie und menschlicher Erfahrung“
https://kunst.uni-koeln.de/embodiedlearninglab/embodied-mind/
[19] Csordas, Thomas (Hrsg.), Embodiment and Experience. The existenzial ground of Cultur and self Camebridge 1999
[20] Aline Vedder, Die Wahrnehmung von Körperlichkeit in Kunstwerken. Eine interdisziplinäre Untersuchung zur Funktion von Kunst
Verkörperung – Eine neue interdisziplinäre Anthropologie, Gregor Etzelmüller, Thomas Fuchs, Christian Tewes (Hrsg.)
[22] Eberhardt, Johann August, Wörterbuch der deutschen Sprache
[23] Waldenfels, Bernhard, Das Leibliche Selbst, Suhrkamp Wissenschaft