Künstlerische Forschung



Nachdem in Klasse 9 im Kunstunterricht lediglich eine Epoche mit Zeichnung in schwarz weiß angesetzt ist, beginnen die Schüler erst in Klasse 10 mit Malerei. Unten zu einer experimentellen Aufgabe zum Thema Zufall, Recycling, kaputte Pinsel und Heißkleber.

„Wenn wir also von einer Epistemologie des Ästhetischen und im Besonderen der Künste handeln, dann geht es uns um deren spezifische Wissensproduktion, d.h. auch im engeren Sinne um den Entwurf einer Produktionsästhetik. Ihr Mittelpunkt bildet die Konstitution von Formen nichtsubjektiver Reflexivität, die ausschließlich im Sinnlichen operieren.“    D. Mersch

Das theoretische Feld Künstlerische Forschung und Kunstpädagogik

Das Feld „Künstlerische Forschung“ steht dem Feld der Identitätsphilosophie widersprüchlich entgegen, weil es hier um das produktive Tun im Umgang mit den sinnlichen Erfahrungen im Material geht. Das „Material“ in der Pädagogischen Kunst  ist der Mensch selbst, wie aber schaue ich den Menschen an, wie beobachte ich phänomenologische Entwicklungsprozesse von jungen Menschen über längere Zeiträume hin ? Das scheint nur vordergründig selbstverständlich, denn die Bildung des Subjekts ereignet sich oft sehr verborgen. Oft bemerkt man erst nach einem halben Jahr kontinuierlicher praktischer Übung, dass sich Blickweisen oder neue Fähigkeiten inzwischen konsolidiert haben. Die Schönheit der unmittelbaren Aufmerksamkeit, die sich in der wachen Konzentration mancher Augenblicke zeigt, ist eine Sphäre ästhetischer Erfahrung, die kaum in Forschungssettings als künstlerische Forschung expliziert worden ist, was geschieht im Unterricht in unterschiedlichen Raumatmosphären ? Die Theorie zur künstlerischen Forschung hat inzwischen, wie so viele Felder, einen weitverzweigten Charakter angenommen. Deswegen beschränke ich mich auf eine Quelle „Die Epistemologien des Ästhetischen“, von Dieter Mersch. Die „Künstlerische Forschung“ ist als Diskurs bisher noch wenig an die Forschung in der Kunstpädagogik angebunden worden. Im Feld „Künstlerische Forschung“ stelle ich, entgegen der Dominanz des Begriffs, wie man es bei Hegel findet, ausgehend von Merschs Untersuchungen, eine besondere Form des künstlerischen Denkens selbst in den Vordergrund. Die pädagogische Frage, wie sich imaginative Prozesse im Lehrer und in den Schülern und der gegenseitigen „Übertragung“ entwickeln können, bleibt rätselhaft und geheimnisvoll, weil sich die flüchtigen bildenden Erfahrungen nur sehr subtil äußern.

Forschungsstand anhand der „Epistemologien des Ästhetischen

„Angesichts der überbordenden Vielfalt an Forschung und Forschungsansätzen dieses Genres mag die Frage provokant anmuten, denn natürlich gibt es gegenläufige Tendenzen, gab es Ausnahmen. Die vielleicht prominenteste dabei ist Aby Warburgs (1866-1929) furioser Bilderatlas "Mnemosyne", bei dem nicht mehr Texte, sondern Bilder Bilder erklären. Und trügen die Zeichen nicht, arbeiten sich derzeit Medien-, Bild- und Kulturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen tatsächlich an der Exemplarität (nicht nur) dieses Ernstfalls ab.“ G.D-Huberman

Durch die Auseinandersetzung mit den Untersuchungen zur Performativität bildet sich eine Brücke zur Frage nach der Künstlerischen Forschung, denn die Studie von Judith Siegmund „Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht?“[1] oder die Arbeit von Elke Bippus „Kunst des Forschens“[2] thematisiert den Grenzbereich zwischen Kunst und Wissenschaft, in dem meine kunstpädagogischen Fragen,[3] innerhalb der kulturellen Bildung, ansetzen. Der Begriff von Wissenschaft, ebenso der Begriff von Forschung sollen für meine Arbeit in einer transparenten Weise reflektiert werden. Goethes Auffassung von Wissenschaft unterscheidet sich eben von Newtons und Kants Prämissen der Wissenschaftstheorie. Die Debatte um künstlerische Forschung stellt ganz grundsätzliche Fragen. Mersch markiert in seiner Arbeit „Epistemologien des Ästhetischen“[4] die wesentlichen theoretischen Grundlagen. Ein weiteres Feld zur Künstlerischen Forschung findet sich, wiederum durch die Anbindung an Goethes künstlerisch- wissenschaftliche Erkenntnishaltung, bei Aby Warburg. Seine Methodik der Bildforschung, wie Bilder andere Bilder erklären, soll für die Präsentation der Ergebnisse des Bildmaterials thematisiert werden. Huberman arbeitet erst minutiös heraus, wieviel Einsichten Warburgs auf seine Beschäftigung mit Goethes morphologischen Studien verweisen. Diese „künstlerische“ Forschungshaltung Aby Warburgs wird von Georges Didi- Huberman anschaulich als Fröhliche Wissenschaft gefasst. Das Zitat von Huberman findet sich in seiner Arbeit „Atlas oder die unruhige Fröhliche Wissenschaft“[5], zum Mnemosyne Projekt von Aby Warburg.

  Epistemologien des Ästhetischen

Mersch entwickelt in der Studie „Epistemologien des Ästhetischen“ anhand der Paradigmen der Singularität eine Kritik an dem Primat der Sprache bei Hegel und Heidegger. Diese Abgrenzung von Hegel erlaubt es ihm, die Dunkelheit der Materialität als sinnliches Scheinen zu fassen. Nicht die Polarität von Idee und Stoff wird so betont, sondern das sinnliche Erscheinen als das Wesenhafte des künstlerischen Werks ins Zentrum gerückt. Der Zusammenfall von dem Erfahrenden Subjekt, dem Prozess der Erfahrung selbst und dem Gegenstand der Erfahrung, der Dialog mit dem sinnlichen Material und jeweiligen Medium im Werk, rückt im künstlerischen Tun nah ineinander. Der Verstand und die Vernunft eines wissenschaftlichen Erkenntnisanspruchs stehen den unbewusst alogischen Momenten einer künstlerischen Auffassung von Pädagogik bisweilen entgegen. Erkennen wie es im künstlerischen Schaffen wirkt, zeigt sich viel gravierender in anderer Art und Weise, eben nicht durch „ausgeklügelte“ didaktische Strukturen, sondern oft durch nebensächliche, zufällige und unvorhersehbare Ereignisse. Wenn ich in pädagogischen Settings Absenz zeige und auf Macht und Kontrolle verzichte, entstehen bisweilen viel produktivere Unterrichtsverläufe, als wenn alles einer strukturell wissenschaftlichen Planung unterliegt, womit nicht Willkür gemeint ist, sondern die Offenheit für quer verlaufende Überschreitungen festgelegter Gewohnheiten. „Zufall, Witz, Evidenz, Plötzlichkeit, Verschiebungen“ (Mersch). Ich errichte im Unterricht ähnlich wie im künstlerischen Schaffen eine Konstellation, wie sie von Mersch in seiner Arbeit „Epistemologien des Ästhetischen“ zur Künstlerischen Forschung expliziert wird. Die Reflexion der Studie von Mersch dient dazu, um die Referenzen des theoretischen Hintergrundes für den empirischen Teil aufzuzeigen. Was hat aber „Künstlerische Forschung“ mit der Kunstpädagogik zu tun?

 Das Ästhetische als ein „anderes Denken oder Anderes -als –Denken“ (D. Mersch) oder eben eine genuin von der Kunst her gedachte Erfahrung, markiert für die Kunstpädagogik meine Ausgangsposition. Mersch entwickelt dies unter anderem anhand der „singulären Paradigmata“. Ein Zusammenhang zwischen Denken und Reflexivität, der sich in künstlerisch- plastisches Denken verwandelt, und dabei eher präreflexiv, wie anhand der Lektüre von Novalis in Cluster I dargestellt, nach unbewussten Lebensprozessen tastet, kann für eine künstlerische Kunstpädagogik relevant sein. Die schon genannten Aspekte Zufall, Witz, Evidenz, Plötzlichkeit, Verschiebungen weisen unmittelbar in die Realität des Unterrichtsgeschehens, welches sich einem „Unverfügbaren“[6] öffnet. Das, seit der Renaissance virulente Problem, eben die Kluft zwischen Kunst und Wissenschaft, erzeugt eine für die künstlerische Kunstpädagogik produktive Spannung. Mersch geht in der Studie anhand unterschiedlicher Fragestellungen auf die Problematik ein, warum, wie Heidegger bemerkt, „Wissenschaft nicht denkt“, sondern ganz elementar werden die verschiedenen Erkenntnisweisen von Kunst und Wissenschaft expliziert.
Das Kapitel „Con-Stellare. Reflexive Epistemik der Künste“ zielt, anhand künstlerischer Werke von Duchamp und Anderen auf die zentralen Probleme der anderen Art zu denken, welche die künstlerische Forschung praktiziert, so dass gerade Untersuchungen im Feld der Kunstpädagogik diese andere Form der Erkenntnis, die Transformation der Gedankenbildung in der Art berücksichtigen müssen, dass auch performative Prozesse insgesamt im Unterrichtsraum im Medium der Kunst aufgefasst werden können. Dazu gehören die Raumatmosphären, das Scheitern sowie subtile gruppendynamische Prozesse, die als Beobachtungsfelder im Sozialen meist nicht expliziert werden (Siehe Laner “Sehen in Gemeinschaft). Allein das oben erwähnte „Singuläre Paradigma“ widerspricht schon der Wiederholbarkeit eines geplanten Ablaufs im Unterrichtsgeschehen. „Ausgeklügelte“ Kunstdidaktik kommt mit reproduzierbaren Modellvorstellungen hier schnell an ihre Grenzen. Sein Ausgangspunkt in dem Kapitel über die „Unvereinbarkeit von Philosophie und Kunst“ spiegelt treffend künstlerische Kunstpädagogik, wie lässt sich darüber angemessen kommunizieren?
„Wenn wir also von einer Epistemologie des Ästhetischen und im Besonderen der Künste handeln, dann geht es uns um deren spezifische Wissensproduktion, d.h. auch im engeren Sinne um den Entwurf einer Produktionsästhetik. Ihr Mittelpunkt bildet die Konstitution von Formen nichtsubjektiver Reflexivität, die ausschließlich im Sinnlichen operieren.“
So experimentiere ich im Sinnlichen mit Menschen seit meiner Auseinandersetzung mit der Kunst von Beuys im Kontext der Sozialen Plastik. Die Phänomenologie der Interaktion mit Menschen im Raum, als eigentliches Feld der Kunst selbst ist oft nicht berücksichtigt. Sofern der Mensch selbst das sinnliche Material der Kunst bildet, muss der Kunstunterricht als performatives Ereignis, schöpferisches Denken, Fühlen und Handeln in der Kunst im sozialen Organismus als einem Lebewesen neu gedacht werden.   
Das Zitat spitzt die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Denken insofern zu, als dass ein wissenschaftlicher Rahmen für eine Arbeit im Feld Kunstpädagogik genau dies vorgeben möchte.
„...Kunst  beginnt weder mit einer genauen Forschungsfrage noch mit „Definitionen“ im Sinne einer Abgrenzung von Problemstellungen, die es zu bearbeiten gilt, sondern unterläuft erratisch die Register des Symbolischen und kann deshalb ebenso wenig disziplinär gebändigt werden, wie ihre Deterritorialisierung sich einer einheitlichen Sprache oder Pragmatisierung fügen.“
„Weder zielen ihre „Unternehmungen“ auf ein bestimmtes Wissen noch gehorchen sie einer allgemeinen oder ökonomischen Teleologie, vielmehr bleiben die gewöhnlich mit Bezug auf Forschung genannten Begriffe wie Hypothese, Methode, Theorie oder Analyse im Feld der Künste chronisch zweifelhaft.“  (Epistemologien des Ästhetischen, S. 23)
Mersch opponiert hier gegen Hegels Dialektik als einer Arbeit des Begriffs und versucht in der Tiefe eine Verschiebung der Erkenntnisgrenzen vorzunehmen. Die Kunst wird von Mersch eher mit der Philosophie verschwistert gedacht als mit den Wissenschaften. Er hinterfragt den Unterschied zwischen wissenschaftlicher und philosophischer Forschung und versucht für die Kunst eine widerborstige, andere Art der Philosophie zu gewinnen, die vom künstlerischen Tun her gedacht, eine der Kunst würdige Position vertritt. Sowohl Heideggers wie Hegels Primat der Sprache werden abgewiesen. Er zeigt, zwischen den von Heidegger für die Kunst angedachten Weisen des Dichtens und Denkens, einen dritten Weg. So sucht er für seine Position einen Schwerpunkt zwischen einer im Sinnlichen operierenden „Artistik“ (Lehre künstlerischer Verfahren) und einer „Aisthetik“ (Wahrnehmunsglehre). Damit verknotet er die Verwandtschaft und Fremdheit zwischen Philosophie und Kunst, um ein anderes, mehr sinnliches Denken für die Darstellung der Kunst zu entwickeln.
Diese von der Kunst aus gebildete Denkweise möchte ich auf die Kunstpädagogik als Kunst übertragen. Jede Schulstunde ist ein „Singuläres Paradigma“, welches eben auch als künstlerische Dokumentation in der zeitlichen Darstellung beispielsweise von Unterrichtsreihen nach einer Darstellung in Diagrammen oder Installationen verlangt. So entsteht meine Frage an die Präsentation von Ergebnissen, wenn ich eben Bildmaterial zum Thema Selbstinszenierung aus fünf Jahren vergleichend als Tableau in einer Ausstellung unter ästhetischen und nicht rein wissenschaftlichen Gesichtspunkten inszeniere. Die Bilder erklären dann Bilder durch die Anordnung in einer Konstellation. Forschung in der Kunstpädagogik sollte eine künstlerische Darstellungsform im Kontext der „Künstlerischen Forschung“ zeigen

[1] Siegmund, Judith (Hg.)(2016) Wie verändert sich Kunst wenn man sie als Forschung versteht? Bielefeld, Transcript
[2] Bippus, Elke (Hg.) (2009) Kunst des Forschens. Berlin, Diaphanes
[3] Meyer T, Sabisch A (2009) Kunst Pädagogik Forschung. Bielefeld, Transcript
[4] Mersch, Dieter (2015) Epistemologien Des Ästhetischen. Berlin, Denkt Kunst Diaphanes
[5] Huberman, Georges, Didi (2016) Atlas oder die unruhige Fröhliche Wissenschaft. München, Wilhelm Fink Verlag
[6]Rosa, H (2016) Resonanz, Suhrkamp. Der Begriff der Resonanz ist hier noch nicht umfassend für die Dimension der Ästhetik und Ethik der Kunstpädagogik expliziert.